Gotteserfahrung?

So lautete der Titel  spannender Einkehrtage der Dominikanischen Laien am Wochenende vom 13.-15. November im Dominikanerinnenkloster zur Heiligsten Dreifaltigkeit in Landsberg am Lech, an dem auch die Postulanten des Brüderzweiges des Ordens teilnahmen. Die Tage in Landsberg waren eine intellektuelle Herausforderung, bei der die heute geläufige Bedeutung alltäglicher Begriffe wie „Theorie“, „Wirklichkeit“, „Vernunft“, „Betrachtung“, „Erfahrung“  und „Liebe“ auf den Prüfstand gestellt wurde.

Prof. Hoye aus Münster führte am ersten Abend in das Thema ein und konfrontierte die Teilnehmer zunächst mit der erstaunlichen Tatsache, dass der Begriff Gottesfahrung,  weder in der Lehre der Kirche noch in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils vorkommt, also in der Kirche fast 2000 Jahre lang keine Rolle spielte. Heute scheint die Möglichkeit,  Gott (direkt) zu erfahren sowohl von Laien als auch von den meisten Theologen unhinterfragt voraus gesetzt zu werden – ein Vor-Urteil. Die Kirche verurteilte einige Lehren über die unmittelbare Erkennbarkeit  bzw die subjektive Erfahrbarkeit Gottes im irdischen Leben als Häresien und verteidigte die Notwendigkeit der Leitung der Sinne und der Erfahrung durch die Vernunft.

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Pius X, in der Enzyklika „Pascendi“

Thomas von Aquin legte die Berichte der hl. Schrift über Gotteserscheinungen dahingehend aus, dass nicht das Wesen Gottes selbst geschaut, sondern Theophanien erlebt wurden – „gewisse Gestalten, die zur Gotteserkenntnis führen, seien sie körperlich oder imaginär“. Verurteilt wurde jedoch auch die Lehre, die auch von einigen namhaften Theologen vertreten wurde, Gott sei auch im ewigen Leben nicht direkt erfahrbar. Albertus magnus fand eine Versöhnung der ehemals gegensätzlichen Positionen, Gott sei – oder eben nicht – im ewigen Leben direkt erfahrbar,  durch  die Umdeutung der Theophanie in das  „Licht der Herrlichkeit“ (lumen gloriae), das Licht, in dem wir das Licht sehen werden – das Gott selbst ist.

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Am Samstagvormittag beschäftigte uns weiter das Thema der Gotteserfahrung im ewigen Leben — der Visio beatifica – die nach der hl. Schrift (Joh, 17,3; 1 Joh. 3,3; 1 Kor. 13,12; 1 Tim 2,4) aus reiner (betrachtender) Erkenntnis, also der Anschauung Gottes besteht. Diese Anschauung oder Betrachtung Gottes, die in der antiken Denkwelt „Theorie“ genannt wurde und absoluten Vorrang vor der Praxis hatte, ist nicht etwa passiv, sondern die höchste Form der Erfahrung der Wirklichkeit als Ganzes und der Erkenntnis der Ur-Wahrheit, die Gott ist. Karl Rahner formuliert es so:

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und nach Thomas von Aquin ist der Mensch bestrebt, durch alle ihm eigenen geordneten und recht gerichteten Tätigkeiten zur Schau der Wahrheit zu gelangen. Diesem Zweck dient auch die Einheit von Körper und Seele, die dabei hilft, Wissen zu erwerben und diesem letzten Ziel näher zu kommen.

Der Gedanke, dass die Wirklichkeit in ihrer Fülle und somit der eigentliche Sinn des Lebens, erst im ewigen Leben erkannt werden wird, ist heute kaum mehr vermittelbar und erscheint vielen Zeitgenossen als unzulässige Vertröstung auf das Jenseits und eine Flucht vor der Welt. Prof Hoye stellte die These auf, dass unsere zeitgenössische Hervorhebung der Gesellschaft eine Säkularisierung des christlichen Glaubens an ein Leben nach dem Tode sei, da zB nach Max Horkheimer, „der Sinn, den  jede Handlung durch den Gedanken an die Ewigkeit gewann, durch die Verabsolutierung des Kollektivs ersetzt wird, in das die Individuen sich einbezogen fühlen“ und da heute im Gegensatz zum überwiegenden Teil der bisherigen Geschichte, die „Wirklichkeit“ in der subjektiven und gegenwärtigen Erfahrung verortet wird, nicht in der zukünftigen des ewigen Lebens.

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Was aber ist mit der Liebe im ewigen Leben? Nach Robert Spaemann ist „das, was das sittliche Handeln motiviert – nämlich die Liebe zugleich das, dessen Erfüllung als Seligkeit gedacht wird“. Und C.S. Lewis fügt hinzu, dass wir im Himmel diejenigen, die wir im irdischen Leben geliebt haben, auch dort lieben werden, weil wir alle in Gott wiederfinden und sie in ihrer Wahrheit und Eigentlichkeit erleben werden. „Wenn wir ihn mehr lieben als sie, werden wir sie mehr lieben als jetzt“ (C.S. Lewis in „Was man Liebe nennt“). Die Liebe findet also auch ihre Erfüllung und somit ihre Wirklichkeit in Gott, ohne dass die „persönliche Liebe“ verloren geht.

Wie kann man in diesem Sinn „Wirklichkeit“ definieren? Es gibt Wirklichkeiten und die Wirklichkeit. Unser Bewusstsein wird von Wirklichkeit geprägt, wenn man z.B einen Gegenstand anfasst und sich diesen Vorgang (anfassen, Art des Gegenstands) im Bewusstsein einprägt. Zwischen Erkennbarkeit einer Wirklichkeit und dieser Wirklichkeit selbst besteht im Menschen jedoch eine Distanz, wir können Wirklichkeiten nur durch Bewusstmachen erkennen. Das ermöglicht es uns jedoch auch, zwischen einer (wirklichen) Möglichkeit und einer Wirklichkeit zu unterscheiden. Bei Gott ist das anders: er hat nicht eine Wirklichkeit sondern ist die Wirklichkeit selbst. Während Menschen im jetzigen Zustand Wirklichkeiten bewusst begegnen (d.h. erkennen, erfahren, begreifen etc) und in diesen bzw durch diese gewissermaßen der Wirklichkeit selbst, verhält es sich bei Gott genau umgekehrt: Er erkennt sein Wesen und darin die Einzelwirklichkeiten. Nach Thomas kommt so auch das ewige Leben zustande: „Am Tische Gottes also essen und trinken jene, die dieselbe Glückseligkeit genießen, in der Gott glückselig ist, da sie ihn auf jene Weise schauen, auf die er sich selbst schaut.“ Da aber alles in Gott enthalten ist, lenkt die auf Gott gerichtete Aufmerksamkeit auch nicht ab von der Aufmerksamkeit auf anderes. Dabei wird die Gottesschau aus Staunen bestehen, die gewissermaßen ein Ausdruck der Unwissenheit ist, die zur menschlichen Natur gehört. Nach Thomas wird die Herrlichkeit die  Natur zwar vollenden aber nicht zerstören. Weder die Gnade noch die Herrlichkeit verletzen die Natur des Menschen. „Daher wird eine Unvollkommenheit, die zur Natur gehört, durch das Glorienlicht nicht behoben.“ Dem geschaffenen Intellekt fehlt die Möglichkeit des umfassenden Begriffs (Begreifens) – eine Eigenschaft, die auch nicht durch das Herrlichkeitslicht aufgehoben wird. Dieses Defizit jedoch sorgt dafür, dass das ewige Leben nicht langweilig sein wird – denn „nichts, was mit Bewunderung betrachtet wird, kann überdrüssig werden“ und alles was Bewunderung erregt, bewegt das Verlangen.

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Die Ausführungen des hl. Thomas und anderer Denker lösten immer wieder lebhafte Diskussionen aus, die auch in den Pausen weiter geführt wurden

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Am Samstagnachmittag wurde das Thema „Gotteserfahrung“ durch P. Thomas Gabriel Brogl aus zwei anderen Perspektiven beleuchtet, nämlich die des Hesychasmus, einer ostkirchlichen Strömung und die von Meister Eckart.

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Im Gegensatz zur Westkirche hält die Ostkirche eine Gottesschau schon im jetzigen Leben für möglich. Die Betrachtung einer Verklärungsikone verdeutlicht, in welcher Weise das gemeint ist. Die Verklärung ist gleichzeitig Weg und Ziel des Menschen. Die beiden Gestalten neben Christus sind Mose und Elia, Symbole des Todes, die die Auferstehung schauen. Die Mandorla um Christus besteht aus konzentrischen Kreisen, von denen der innerste dunkel ist. Er steht für die Unerkennbarkeit Gottes. Christus, in dem sich Gott zu erkennen gibt, steht vor diesem dunklen Kreis. Von Christus gehen in Form eines Fünfecks Strahlen aus, die als erfahrbare Wirkkräfte oder „Energien“  gedeutet werden, da sie auf die der Verklärung beiwohnenden Apostel gerichtet sind. Nach Gregorius Palamos, dessen Lehre in der Ostkirche als verbindlich gilt,  ist das Wesen Gottes zwar unzugänglich, die von ihm ausgehenden Energien jedoch z.B. in der Kontemplation erfahrbar. Sie sind wie Gottes Wesen selbst ungeschaffen. Diese Energien sind eine Schau im jetzigen Leben  durch den hl. Geist. Der Körper als Tempel des hl. Geistes vermittelt der Seele diese göttlichen Gnaden. Er muss dafür disponiert werden, was in der im Hesychasmus durch die Gebetspraxis des Herzensgebetes geschieht.

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Der Dominikaner Meister Eckhart (1260-1328) , führt auf einen wiederum anderen Weg. Er spricht von einer Erfahrung der Einheit im innersten „Grund“, in der Gottes Grund und der Grund des Menschen ein und dasselbe gebiert. Auf diese Weise gebiert der Vater den Sohn nicht nur in sich selbst (also in der Trinität), sondern auch „im Innersten des Geistes und das ist die innere Welt“. Bei Meister Eckhart ist die Erfahrung jedoch nicht ein Erkenntnisvorgang, ein Willensakt oder ein erlebnismäßiges Verspüren. Das Verstehen vollzieht sich als ein unverfügbares Empfangen, auf das man sich auch nicht prädisponieren kann. Die Grund-Erfahrung ist weiselos – also nicht auf eine bestimmte Weise herstellbar. Sie ist unableitbar unmittelbar, nicht sachhaft beschreibbar, und durchbricht alles Seiende, also auch die alltägliche Erfahrung. Eckhart beschreibt sie als die Geburt des Sohnes aus dem Vater im Grund der Seele. Dabei ist dies ein dynamisches und relationales Geschehen, das in jedem Moment neu geschieht als Vollzug einer Einheit als Beziehung. Dennoch gibt es für Eckhart keine Vereinigung mit Gott, sondern eine schon immer bestehende Einheit in Nicht-Identität. Die Gottesgeburt ereignet sich ständig im Menschen, ob er will oder nicht. Um sie zu empfinden, muss man alles „lassen“ (nichts wissen und nichts haben wollen) im Schweigen des Verborgensten der Seele, das keine Vorstellungen mehr kennt. Dort in der „Finsternis“ vollzieht sich die Empfänglichkeit. Diese Finsternis ist aber nicht düster: ihr mangelt und fehlt nichts, sondern sie ist der Ort der „möglichen Empfänglichkeit, in der du vollendet wirst“. In ihr kann es auch eine Lichterfahrung geben, an der man jedoch nicht hängenbleiben, sondern im Unwissen verharren soll, denn dann wird das Unwissen mit dem übernatürlichen Wissen geadelt.

Am Sonntag schließlich wurde der Ausflug in die westliche Denkweise und Lehre des Thomas von Aquin durch Prof. Hoye fortgesetzt.

Zunächst mussten wieder Begriffe geklärt werden. Die uns bekannten Realitäten haben Sein. Wir erkennen oder erfahren sie, indem wir sie mit Hilfe des Bewusstseins „beleuchten“, erfassen dadurch jedoch nur ihre „Form“, nicht aber ihr Sein selbst. Gott hat nicht Sein, sondern ist reines Sein. Er vereinigt sich mit dem Bewusstsein als „das Verwirklichende“ (als Licht) – er ist somit die Erkennbarkeit aller Dinge.

Die jenseitige Gottesschau zeigt uns also, worauf es in diesem Leben ankommt. Nicht die Praxis ist wichtig, sondern die „Theorie“ (in dem Sinn wie der Begriff ursprünglich angewendet wurde): das Bewusstwerden von Wirklichkeit und das Wandeln im erhellenden Licht der Wahrheit. Das zunehmende Erwachen zu dieser Wirklichkeit geschieht im einzelnen Leben, aber auch die Freiheitsgeschichte besteht darin. Der Sinn der Moral ist das Wachstum der Wirklichkeitsfähigkeit.

Auch wenn die direkte Gotteserfahrung dem ewigen Leben vorbehalten bleibt, gibt es im jetzigen nach Thomas doch die implizite Gotteserfahrung, da „nichts erkennbar ist, wenn nicht durch eine Ähnlichkeit der Urwahrheit“- die Gott ist.

Daher ist auch jede Liebe zu einer Wirklichkeit implizit Liebe zu Gott. Jedes Streben entsteht aus Liebe und zielt auf etwas Gutes. Das trifft auch auf die Selbstliebe zu, denn nach Thomas ist das Streben nach Gott identisch mit dem Streben nach Selbstverwirklichung. Im Streben und Sehnen nach Gott, lieben wir gleichzeitig uns selbst, indem wir für uns das höchste Gut wollen. Denn jedes Ding, das nach seiner Vollkommenheit strebt, strebt nach Ähnlichkeit mit Gott. Daher hat jede Neigung des Willens, auch des sinnlichen Begehrens ihren Ursprung aus der Liebe und das Ziel aller menschlichen Handlungen und allen Verlangens, der Ursprung des aktiven Lebens  ist die Gottesliebe.

Jedoch hinterlässt die menschliche Liebe, auch die erotische, den Schmerz des letztlichen Unerfülltbleibens – und begründet so die Vision der Seligkeit.

Dennoch reicht die Liebe weiter als Erfahrung oder Erkenntnis. Erfahrung reduziert den Gegenstand auf das Bewusstsein während Liebe auf den Gegenstand selbst gerichtet ist und überErkenntnis hinaus gelangt. So kann man also Gott selbst lieben, obwohl man ihn nicht erkennen kann. Die menschliche Erkenntnis bleibt im Diesseits unfähig, Gott unmittelbar zu erkennen, die Liebe jedoch ist in der Lage, Gott unmittelbar zu erreichen.  Somit reicht die Gottesliebe weiter als die Gotteserfahrung, denn sie ist es, die die Geschichte in die Ewigkeit überführt.

Mit diesen Gedanken ging ein Einkehrwochenende zu Ende, das den Teilnehmern nach guter dominikanischer Tradition noch lange Anregung zur Kontemplation und hoffentlich auch zum Weitergeben im Sinne des hl.Thomas und dem daraus abgeleiteten Motto des Ordens sein wird. Bleibt noch zu erwähnen, dass der inhaltliche Teil, der ja selbst auch eine geistig-geistliche Übung darstellte, in einen geistlichen Rahmen von Stundengebet und Eucharistiefeier eingebettet war, die wir zum großen Teil mit unseren Gastgeberinnen, den Landsberger Dominikanerinnen feierten. Auch die informellen Gespräche an den Abenden beim Wein über Gott und die Welt kamen nicht zu kurz. Unser besonderer Dank gilt den Schwestern, vertreten durch Sr. Antonia, die uns schon zum dritten Mal in Landsberg beherbergten.

 

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