Gegenüber dem Verdacht, staatszersetzend und illoyal gegenüber dem Kaiser zu sein, sollte die Minderung der Schuld des römischen Präfekten Pontius Pilatus am Tod Jesu in den Passionserzählungen den erhofften Vorteil verschaffen, das Verhältnis zur römischen Staatsmacht erträglich zu gestalten, dessen Gunst zu erwerben und die weitere Duldung der jesuanisch-messianischen Gemeinden zu erreichen. Diese politische Motivation implizierte ökonomische Vorteile: Nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels wurden JudenJüdinnen zu einer Sondersteuer für den Jupitertempel („fiscus Iudaicus“, „Ioudaikon telesma“) veranlagt. Durch die Betonung der Distanz zum Judentum, waren diejenigen, die an den in den Evangelien verkündeten Maschiach/Messias glaubten, nicht davon betroffen. Jenseits der Intentionen und Motivationen der Verfasserinnen der Evangelien gilt es, sich in die Perspektive derjenigen zu versetzen, die die Wirkung dieses Judenhasses erlebt haben. Deshalb soll systematisch die Kontinuität des Kollektivvorwurfes, Jeschua (hebr.; gr.: Jesus) getötet zu haben, „über Epochen und geografische Räume hinweg untersucht … werden“ (Rickert). Denn für die Auseinandersetzung „zwischen Kirche und Synagoge wirkte sich besonders weitreichend und letztlich folgenreich tragisch die Tendenz der neutestamentlichen Schriften aus, die Juden für den Tod Jesu verantwortlich zu machen“ (Henrix). So wurde der im Matthäusevangelium anzutreffende Satz „Da rief das ganze Volk: ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder‘“ (Mt 27,25) „zu einem Eckpfeiler für Abgrenzung und Feindseligkeit. Er diente später und im Zusammenspiel mit anderen Streitfragen als Grund und Stütze eines jahrhundertelangen christlichen Antisemitismus“ (Henrix). Die unmissverständliche Darstellung von Juden als G’ttesmörder wurde in Text und Bild bis in die neueste Zeit fortgesetzt.
Auswahl der verwendeten Literatur:
Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004, S. 30; Rickert, Tami, Analyse von antisemitischen Bildern und Stereotypen im Unterricht, in: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg u.a., Hg., Wahrnehmen – Bennen – Handeln. Handreichung zum Umgang mit Antisemitismus an Schulen, Stuttgart 2019, S. 86-88.
Hr. Norbert C. Schmeiser