Wer war schuld am Tod Jesu ? V d-2

Die Schuldzuweisung an die jüdischen Instanzen wird zeitlich vom zuerst entstandenen Markusevangelium bis zum lukanischen Werk immer deutlicher herausgestellt. Im Johannesevangelium wird die gesamte Schuld sieben Mal „den“ JüdinnenJuden zugesprochen. Es inszeniert den Ablauf so, dass es die Juden selbst Jesus kreuzigen lässt, obwohl ihre Hinrichtungsart die Steinigung war. Wenn man diese Entwicklung der sich zuspitzenden Schuldzuschreibung ernst nimmt, dann müssen sich diese Texte mit dem Verdacht auseinandersetzen, frühchristlicher Judenfeindlichkeit zu entspringen und eine bewusste Entscheidung gewesen zu sein (vgl. Maccoby). Die Rivalität zwischen JüdinnenJuden und Christgläubigen dreht sich im Kern darum, wer G’ttes Volk, wer das „wahre Israel“ ist. Das schließt das Erbe der Verheißungen an die Väter, den Besitz der rechtmäßigen Heiligen Schrift und deren rechtmäßiger Interpretation ein. Denn beide gehen auf die gleiche Wurzel zurück. Der christliche Glaube bildete sich „in Frontstellung … gegen das Judentum“ (Henrix) heraus. Dadurch fühlten Christinnen sich zeitgleich mit binnenchristlichen Auseinandersetzungen und der römischen Militärdiktatur herausgefordert. Der sich in der Schuldzuweisung für die Exekution Jeschuas/Jesu an JudenJüdinnen zeigende religiös begründete Judenhass ist auch von erhofften eigenen Vorteilen getragen. Denn je mehr der römische Staat das entstehende Christentum als eigenständigen Kult einschätzte, desto mehr verlor es den staatlichen Schutz, den es so lange genossen hatte wie sein Kult als jüdisch angesehen wurde. Erschwerend kam hinzu, dass Christusgläubige mit Jeschua/Jesus jemanden als Gott verehrten, den die Römer als politischen Rebellen und Hochverräter gekreuzigt hatten. Christgläubige standen nun selbst im Verdacht illoyaler und staatszerstörender Tendenzen, auch weil ihre Anhängerschaft wuchs.
Verwendete Literatur (in Auswahl): Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004; Maccoby, Hyam, Ein Pariavolk. Zur Anthropologie des Antisemitismus, Leipzig 2019.
Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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