Kommentar der hl. Katharina von Siena zum heutigen Evangelium

Evangelium nach Lukas 19,1-10. 

In jener Zeit kam Jesus nach Jericho und ging durch die Stadt.
Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich.
Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht; denn er war klein.
Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen mußte.
Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muß heute in deinem Haus zu Gast sein.
Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf.
Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.
Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.
Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.
Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

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Kommentar zum heutigen Evangelium 
Hl. Katharina von Siena (1347 – 1380), Dominikanertertiarin, Kirchenlehrerin, Mitpatronin Europas
Brief 119 an den Prior der Olivetaner

„Er wollte gerne sehen, wer dieser Jesus sei“

Ich schreibe Euch in dem Wunsch, in euch einen guten, mutigen Hirten zu sehen, der die ihm anvertrauten Schafe mit vollkommenem Eifer weidet und führt und darin dem sanftmütigen Herrn der Wahrheit gleicht, der sein Leben für uns hingegeben hat, für seine Schafe, die vom Pfad der Gnade abgeirrt sind. Das gelingt uns zwar nicht ohne Gott, und wir können, solange wir hier auf Erden sind, Gott nicht besitzen. Es gibt aber ein gutes Hilfsmittel: Wenn das Herz mutlos und kleinlaut wird, muss man es machen wie Zachäus: Er war nicht groß und musste, um Gott zu sehen, auf einen Baum steigen. Sein Eifer wurde mit der freundlichen Aufforderung belohnt: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“

So müssen wir es machen, wenn wir in einem Tief sind, ein kleinliches Herz haben und nur wenig Liebe empfinden. Wir müssen auf den Baum des heiligen Kreuzes steigen! Und da sehen wir Gott, da kommen wir ihm nahe. Hier finden wir das Feuer seiner unaussprechlichen Liebe, die Liebe Gottes, die ihn bis in die Schande des Kreuzes geführt hat, die ihn angetrieben und mit brennendem Hunger und nagendem Durst die Ehre des Vaters und unser Heil hat suchen lassen… Wenn wir es nur wollen, wenn unsere Gleichgültigkeit uns nicht daran hindert, können wir auf den Kreuzesstamm steigen und das Wort, das aus dem Munde der Wahrheit kommt, in uns Wirklichkeit lassen: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen“ (Joh 12,32 Vulg). Wenn die Seele sich so erhebt, sieht sie tatsächlich die Wohltaten der Güte und Macht des Vaters… die Milde und den Reichtum des Heiligen Geistes, also die unsagbare Liebe, von der Jesus am Holz des Kreuzes festgehalten wird. Nägel und Bande konnten ihn nicht festhalten; nur die Liebe… Steigt auf diesen hochheiligen Baum, an dem die reifen Früchte aller Tugenden hängen, die der Leib des Gottessohnes in sich trägt; geht es mit Feuer an. Verbleibt in der heiligen, sanftmütigen Liebe Gottes. Lieber Jesus, Jesus, meine Liebe.

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