Wer war schuld am Tod Jesu? (V-b1)

Die Passionserzählungen sind auf dem Hintergrund des sich aus dem vielfältigen Judentum herauslösenden und sich differenzierenden neuen Glaubens an Jesus als den Maschiach (hebr., griech. Transkription Messias) zu verstehen. Dieser Glaube entfaltet sich in verschiedene Richtungen
Die JüdinnenJuden, die Jeschua / Jesus für den Maschiach hielten, sahen sich anfangs als jüdische Erneuerungsbewegung. So wandten sich deren Missionare „zuerst an die Juden und predigten in ihren Synagogen“ (Brüggenboes, vgl. Apg 13,9.14; 14,1; 17,2.17; 18,4.26; 19,8), die im ganzen Imperium Romanum verbreitet waren. Dabei trafen sie römische, polytheistische Staatsbürger aller Nationen, die die als hedonistisch und dekadent empfundene Lebensweise ihrer Oberschicht abstieß und sich religiös neu orientierten (sog. Gottesfürchtige in Apg 13,16; 16,14; 17,17; 18,7). Weil JüdinnenJuden, die Jeschua / Jesus für den Maschiach / Messias hielten, sich bisher an die mosaischen Gebote hielten (z.B. Kaschrut [Speiseregelungen], Brit Mila [Beschneidung], Zeremonialgesetze), stellte sich die Frage nach deren Verbindlichkeit für nichtjüdische Interessierte an der sich herausbildenden Gemeinde. Eine Abweisung dieser Gläubigen bzw. eine offene Spaltung wurde durch das Apostelkonzil zunächst vermieden (vgl. Apg 15, Gal 2,1-10). Damit bzw. danach stellte sich die Frage, ob diese Messiasgläubigen sich noch als eine jüdische Gruppierung verstehen konnten. Weiterhin hielten sich vor allem ehemalige Jüdinnen*Juden weiterhin an mosaische Gebote. Daraus erwuchsen verschiedene Richtungen, die sowohl innerhalb der entstandenen Gemeinden nebeneinander existierten als auch eigene Gemeinden bildeten. Aus der Perspektive jüdischer, nicht jes(ch)uanisch-messianischer Gruppierungen betrachtet sind diese Personen der Tora gegenüber untreu und abtrünnig. Von diesen verschiedenen Richtungen bzw. Gruppen, die zeitlich und räumlich nebeneinander lebten, sind sich als thoratreu verstehende, sog. Judenchristen wie etwa Ebioniten und Nazarener historisch greifbar.

Verwendete Literatur: z.B. Brüggenboes, Wilhelm, Kirchengeschichte, Düsseldorf 1972, S. 9-15; Brumlik, Micha, Entstehung des Christentums, Berlin 2010, S. 18-47; Heer, Friedrich, Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum, München u.a. 1967, S. 50-62; Jedin, Hubert, Hg., Handbuch der Kirchengschichte. Band I. Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Freiburg u.a. 1963, S. 180-186; Poliakov, Léon, Geschichte des Antisemitismus. I. Von der Antike bis zu den Kreuzzügen, Worms 1977, S. 16; https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_Römischen_Reich.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? (V a)

Weshalb inszenierten vor allem die synoptischen Evangelien zeitlich vor dem römischen Zivilprozess unter Leitung des römischen Prokurators Pontius Pilatus eine eigenständige jüdische Gerichtsverhandlung, in der Jeschua (hebr., gr. Jesus) verurteilt wird? Warum schieben alle Evangelien die Schuld in Richtung der Juden anstatt – historisch richtig – die römische Besatzungsmacht vertreten durch den Statthalter eindeutig als allein verantwortlich darzustellen?


Der alleinige, an sich richtige Verweis darauf, dass die Passionserzählungen keine historischen Berichte sind und keine Prozessprotokolle sein wollen, läuft Gefahr, die Verantwortung der Evangelien für die verheerenden Folgen des Gottesmordvorwurfes zu relativieren und zu verharmlosen, der zur Rechtfertigung von Judenverfolgungen schlimmsten Ausmaßes herangezogen wurde. Zudem: wer mit diesem Verweis das Abwälzen der Schuld am Tod Jesu auf Juden bagatellisiert, stellt sich bis heute auf die Seite der Römer, also der Täter, und setzt gleichzeitig andere Textelemente der Leidenserzählungen wie den engagierten und engagierenden Glauben an Jesus als den Maschiach bzw. Sohn G‘ttes herab.
Die Entstehung dieser Erzählungen ist in einen historischen Zusammenhang eingebettet und von den zeitgenössisch sich entfaltenden Konflikten geprägt. Die Schuldzuweisung an Juden für den Tod Jeschuas / Jesu ist mithin in den Entstehungskontext der Evangelien zwischen 70 und 110 u.Ztr. einzuordnen. Dieser ist von folgenden ineinandergreifenden Zusammenhängen geprägt: im Verlauf des ersten Jahrhunderts u.Ztr. bilden sich vielfältige sich als „christlich“ verstehende Glaubensrichtungen aus einem differenzierten Judentum sowie Mischformen während der Militärdiktatur der Römer heraus und entwickeln sich weiter. Zu den verschiedenen Richtungen im Judentum und in den entstehenden christlichen Gemeinden wie zur römischen Herrschaft haben sich die Passionserzählungen positioniert.


Hr. Norbert C. Schmeiser

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Wer war schuld am Tod Jesu? (IV)

Um die Frage zu klären, „ob überhaupt eine regelrechte Gerichtsverhandlung des Synedrions stattgefunden hat“ (Söding), sind die Passionserzählungen (vgl. Mk 14,43-16,6, Mt 26,47-28,8, Lk 22,47-24,12 und Joh 18,1-20,18) mit den jüdischen Rechtsvorgaben jener Zeit abzugleichen.


Nach Joh 18,12-13 sei die Verhandlung vor Hannas nicht öffentlich gewesen, obwohl dies untersagt war. Gemäß Mt 26,59 und Mk 14,55 hätten „die Hohenpriester und der ganze Hohe Rat“ anfangs nach Zeugen gegen ihn gesucht und nach Mt 26,66 hätte der Hohe Rat hätte einstimmig für schuldig votiert (so auch Mk 14,64 und Lk 22,71), demgegenüber muss der Angeklagte zunächst verteidigt werden und nicht alle dürfen für „schuldig“ plädieren. Ein einmütiger Schuldspruch zeigte nach jüdischem Recht die Unschuld des Angeklagten, weil bei Einstimmigkeit von 23 Personen, die im Hohen Rat mindestens anwesend sein mussten, eine Verschwörung vermutet wurde. Danach hätten Jeschua / Jesus freilassen müssen.

Ein Schuldspruch verlangt zwei übereinstimmende Zeugen, die sich nach Mk 14, 55-59 (par. Mt 26,59-60) nicht fanden – nach jüdischem Gesetz hätte Jeschua / Jesus dann freigesprochen werden müssen. Laut Mk 14,60 und Mt 26,62 überlässt Kaiphas dem Beschuldigten die Gelegenheit, sich selbst zu belasten, was verboten war, um Taten in Suizidabsicht zu verhindern. Laut Mk 14,63 (par. Mt 26,65) zerreißt Kaiphas dann sein Gewand, obwohl dies nach Leviticus 21,10 untersagt war, er klagt Jeschua / Jesus der Gotteslästerung an, obwohl Richter keine Anklagen erheben durften, und will ihn aufgrund seiner eigenen Aussage verurteilen, was verboten war. Zudem galt nur das buchstäbliche Aussprechen des Gottesnamens als todeswürdige Gotteslästerung (Sanhedrin 7,5), was Jeschua / Jesus laut Schilderung der Evangelien nicht getan hatte. Mk 14, 64 (par Mt 26,66) lässt den Hohen Rat danach – nächtens – per gemeinschaftlich durchgeführter Akklamation das Todesurteil sprechen, die Schuld durfte erst 24 Stunden nach der Verhandlung in einer individuellen Abstimmung mit dem Jüngsten beginnend zugesprochen und das Todesurteil erste 3 Tage danach verkündet werden. Richter musste sich freundlich verhalten und der Verurteilte durfte vor der Hinrichtung weder gewaltsam festgehalten noch ausgepeitscht werden, auf Schläge und Anspucken standen Geldstrafen – Mk 14,65 und Mt 26,67 stellen diese Misshandlungen Jeschuas / Jesu dar (bei Lk vor der Verurteilung 22, 63-65).


Weil die Römer innertheologische Debatten nicht interessierten, kann die Besatzungsmacht keine Veranlassung gesehen haben, „aufgrund einer Klage der jüdischen Priesterschaft wegen Missachtung jüdischer Religionsgesetze gegen Jesus vorzugehen, wie die Passionsgeschichten der Bibel unterstellen“ (Kopp). Deswegen hat die Auslieferung an Pilatus (vgl. Mk 15,1, par Mt 27,2, Lk 23,1-2) allenfalls einen Wert als literarischer Übergang ohne geschichtliche Bedeutung.


Die Fülle an Widersprüchen zu Regelungen des Prozessrechtes zeigt: so wie die Evangelien die Befragungen durch Hohepriester und die Gerichtsverhandlungen vor dem Hohen Rat schildern können diese „nach allem Wissen über die Verfahrensvorschiften … nicht stattgefunden haben“ (https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/). Der Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums, Gerd Lüdemann schlussfolgert: „die Verhandlung vor dem Hohen Rat hat ja nicht stattgefunden“. In jedem Fall ist „die Vorstellung, die jüdischen Behörden … hätten eine …Mitverantwortung für die Verurteilung Jesu ist historisch und rechtlich nicht haltbar“ (Kopp).
Verwendete Literatur: Cohn, Chaim, Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, Berlin 2017; Holger Fröhlich im Interview mit Christian Wiese, Von der Schuld am Tode Jesu: Eine Spurensuche, in: https://brefmagazin.ch/artikel/von-der-schuld-am-tode-jesu-eine-spurensuche/; Fruchtenbaum, Arnold G., Das Leben des Messias. Zentrale Ereignisse aus jüdischer Perspektive, Hünfeld (8. Aufl.) 2015, 83-102; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. (3. Aufl.) 1979, S. 284-289, 284-285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009); Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer er war schuld am Tode Jesu ? (III)

Wer sich der alleinigen Verantwortung der römischen Besatzungsmacht für das Todesurteil gegen Jeschua (hebr., gr. Jesus) bewusst ist, stellt sich die Frage, wie damit der Todesbeschluss des Hohen Rates (Synedrion) in den synoptischen Passionserzählungen vereinbar ist.


Laut den Synoptikern wurde Jeschua / Jesus vom Hohen Rat, der grundsätzlich 71 Personen umfassenden, obersten jüdischen Verwaltungs- und Justizbehörde, befragt und zum Tode verurteilt (vgl. Mk 14,55-64; Mt 26,59-66, 27,1, Lk 22,66-71; über den Prozess vor dem jüdischen Gerichtshof sagt das Johannesevangelium nichts – außer dass Jeschua / Jesus zu Kajaphas geschickt wurde – vgl. Joh 18,24).
Für Kapitalprozesse besaß die oberste jüdische Gerichtsbehörde unter der römischen Besatzungsherrschaft keine Kompetenz, zu verhandeln und Todesurteile zu fällen – mit der einzigen Ausnahme der heidnischen Tempelschändung, die hier nicht gegeben war. Deshalb wird das Synedrion „ein förmliches Todesurteil … kaum ausgesprochen haben“ (Gnilka).


Nach der Darstellung des Markus- und Matthäusevangeliums habe der Prozess nachts stattgefunden (vgl. Mk 14,17.53-64; Mt 26,20.31.34). Ein Kapitalprozess durfte nach jüdischem Recht aber nicht in der Nacht stattfinden. Indem dessen Ende auf die frühen Morgenstunden verlegt wird (vgl. Mk 15,1; Mt 27,1) und Lukas den Prozess komplett am Morgen stattfinden lässt (vgl. Lk 22,66-71), bekommt er einen legalen Anschein.


Den synoptischen Evangelien folgend sei der Prozess am Vorabend des Pessach-Fests (hebr. פֶּסַח) durchgeführt worden (vgl. Mk 14,12.17f; Mt 26,17-19.20; Lk 22, 1.7-8,15). An diesem Vorabend, dem Erew Pessach, wird allerdings das symbolträchtige Seder-Festmahl gehalten – er ist einer der heiligsten Tage der Juden (vgl. Ex 12,14-20). Darum werden dann keine Gerichtsverhandlungen geführt. Schon am Schabbat oder einem anderen Festtag durfte nach der älteren Halachah, der Gesamtheit jüdischer Rechtsvorschriften, kein Gerichtsprozess stattfinden. Er konnte auch deshalb nicht auf den Vorabend vorgezogen worden sein, weil in jüdischer Zeitbetrachtung der Tag am Vorabend beginnt (vgl. Gen 1,5.8.13, 19, 23, 31).

Weitergehend stellt sich die Frage, „ob überhaupt eine regelrechte Gerichtsverhandlung des Synedrions stattgefunden hat“ (Söding).


Verwendete Literatur: Baumann, Arnulf, H., Hg., Was jeder vom Judentum wissen muß, Gütersloh, (4. Aufl.) 1987, S. 140; Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 54-55; Cohn, Chaim, Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, Berlin 2017; Holger Fröhlich im Interview mit Christian Wiese, Von der Schuld am Tode Jesu: Eine Spurensuche, in: https://brefmagazin.ch/artikel/von-der-schuld-am-tode-jesu-eine-spurensuche/; Fruchtenbaum, Arnold G., Das Leben des Messias. Zentrale Ereignisse aus jüdischer Perspektive, Hünfeld (8. Aufl.) 2015, 87; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. (3. Aufl.) 1979, S. 284-289, 284-285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009); Nachama, Andreas u.a., Basiswissen Judentum, Bonn 2018, S. 269-270; Pawlikowski, John T., Catechetics and Prejudice: How Catholic Teaching Materials View Jews, Protestants and Racial Minorities, New York u.a. 1973, S. 79-86, 100-107; Salomon, Norman, Judentum. Eine kurze Einführung, Stuttgart 1996, S. 71-73; Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238.

Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tode Jesu ? II

Anders als die historisch fundierte Analyse (Teil I), die die Verantwortung der römischen Besatzungsmacht für den gewaltsamen Tod Jeschuas (hebr.; gr. Jesu) begründet, geben die Passionserzählungen der Evangelien – in unterschiedlichen Graden – Juden die Schuld an der Exekution Jesu.
In den nach Matthäus und Lukas bezeichneten Evangelien unbekannter Autoren stiften Juden Römer dazu an, Jeschua / Jesus zu töten. Im Matthäusevangelium werden die jüdischen Oberen als boshafte Strippenzieher und die Römer als Instrumente ihrer Machenschaften dargestellt. Letztere werden auch entlastet, wenn das Lukasevangelium ausgerechnet den römischen Hauptmann sagen lässt: „Wirklich, dieser Mensch war ein Gerechter“ (Lk 23,47). Diese Aussage verschiebt die Schuldfrage in Richtung der Juden. Nach dem in der Karfreitagsliturgie regelmäßig verlesenen Johannesevangelium hätten „die Juden“ die Kreuzigung Jeschuas / Jesu eingefordert, obwohl Pilatus den „König der Juden“ hätte freilassen wollen. Der römische Statthalter hätte ihn an „die Juden“ übergeben, die ihn dann sogar selbst gekreuzigt hätten (vgl. Joh 19,18), obwohl deren Hinrichtungsart die Steinigung war. Dieser Vergleich zeigt auch, dass die Evangelien nicht darin übereinstimmen, wer für Urteil und Kreuzigung verantwortlich gemacht wird.Dass es historisch unhaltbar ist, den römischen Statthalter von Schuld zu entlasten bzw. frei zu sprechen und Juden dafür verantwortlich zu machen, wird auch am Bild deutlich, dass die Evangelien von Pontius Pilatus entwerfen. Denn dieses ist nicht mit dem Zeugnis profaner Quellen des 1. Jahrhunderts vereinbar. So zeigen der Philosoph Philo und der Historiker Flavius Josephus diesen römischen Statthalter als einen grausamen Herrscher, der fortwährend Menschen ohne Urteilsspruch hinrichten ließ. Ihnen zufolge schlug er nicht nur den jüdischen Protest gegen den Missbrauch des Tempelschatzes für den Bau einer Wasserleitung mit brutaler Gewalt nieder, sondern ließ auch eine große Menge von Galiläern niedermetzeln, als diese ihre Opfer im Jerusalemer Tempel darbrachten. Unter seiner Herrschaft von 26 bis 36 n.d.Ztr. wurden etwa 6000 jüdische Menschen hingerichtet – das sind im Durchschnitt täglich 1,64 jüdische Personen. Wegen der Ermordung von Samaritanern, die sich zum Berg Garazim aufmachten, wurde Pontius Pilatus als Prokurator abgesetzt und musste sich danach in Rom verantworten. Es ist nicht vorstellbar, dass ein diktatorisch herrschender Militärverwalter sich von den von ihm unterdrückten Juden vorschreiben ließ, wen er seinen römischen Soldaten zur Kreuzigung übergab und wen nicht.
Verwendete Literatur: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 50-51; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Küng, Hans, Das Judentum, München 1991, S. 408-411; Linke, Georg, Wer war schuld am Tode Jesu? Die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes in Gottes Bund, in: https://www.theologie-naturwissenschaften.de/diskussion/blog-georg-linke/einzelansicht/wer-war-schuld-am-tode-jesu vom 10.03.2011; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009); Ritt, Hubert, Wer war schuld am Tode Jesu? Zeitgeschichte, Recht und theologische Deutung, in: Biblische Zeitschrift, Heft 2, 31. Jahrgang 1987, S. 165-175, 168, 172.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer ist schuld am Tode Jesu? I

Jährlich zur Passions- und Osterzeit wird die Schuldfrage am Tode Jeschuas (hebräisch; grechisch Jesu) neu gestellt. Diese ist auf dem Hintergrund der Besetzung des südöstlichen Mittelmeerraumes durch die Römer zu beantworten. Denn diese haben über die von ihnen errichtete Provinz Judäa einen Statthalter (Prokurator) des römischen Kaisers eingesetzt. Wie in den anderen Provinzen galt Militärverwaltung. Der Statthalter war mithin der Kommandant römischer Truppen. Vier Kohorten waren in seiner Residenz Cäsarea stationiert, von denen eine immer in Jerusalem in der Burg Antonia lag. Mit einer weiteren Kohorte kam der Statthalter zu den großen Festen nach Jerusalem. Zudem war er nicht nur dafür zuständig, Steuern und Zölle einzutreiben, sondern als auch oberster Militärrichter hatte nur er das Recht, die Todesstrafe zu verhängen und vollstrecken zu lassen. Deshalb wurde Jeschua / Jesus auf Befehl des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet. Das geschah nach römischer Hinrichtungsart, nämlich Verurteilte kreuzigen zu lassen. Menschen wurden für Verbrechen mit politischer Bedeutung vor allem Anstiftung zum Aufruhr, Desertion zum Feind, Geheimnisverrat etc. zur Kreuzigung verurteilt. Aus der Perspektive der römischen Besatzungsmacht war Jeschua / Jesus jemand, der durch seine Anhängerschaft und als Unruhestifter im Tempelbezirk eine politische Gefahr darstellte. Dementsprechend nennt das Markusevangelium als Grund für seine Hinrichtung die Inschrift „Der König der Juden“ (Mk 15,26). Diese Kennzeichnung spiegelt die römische Perspektive wider. Ein „König der Juden“ hätte den Herrschaftsanspruch des römischen Reiches infrage gestellt und zwar unabhängig davon, wie Jesus sein eigenes Königsein verstanden hat. Weil die römische Besatzungsmacht einen jüdischen Aufstand fürchtete und sich von den unterdrückten Völkern kein Todesurteil diktieren ließ, kommt nur sie als die Instanz in Frage, die die Kreuzigung initiiert und vollstreckt hat.


Verwendete Literatur: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 46-48; Feldmann, Christian, Henker oder Heiliger? In: Konradsblatt Nr. 14/15/16, 2023 S. 38-39; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. 1979, S. 285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; Küng, Hans, Das Judentum, München1981, S. 407-428; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Linke, Georg, Wer war schuld am Tode Jesu? Die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes in Gottes Bund, in: vom 10.03.2011; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009; Ritt, Hubert, Wer war schuld am Tod Jesu? In: Biblische Zeitschrift, 31. Jahrgang, Heft 2, 1987, S. 165-175, 172-175; Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238).


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu – Hinführung, Teil 2

Nur wenn eigene theologische und kirchlich verbreitete Aussagen kritisch überprüft werden, ist es glaubwürdig, Judenhass entgegenzutreten. In den Texten zur folgenden Reihe „Wer war schuld am Tod Jesu?“ wird dem G‘ttesmordvorwurf nachgegangen.


Zwecks Überprüfung dieses Vorwurfes werden in den Texten zunächst die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse in der römischen Provinz Judäa zur Zeit Jeschuas / Jesu benannt. Danach ist zu klären, warum vor allem die synoptischen Evangelien (nach Markus, Matthäus und Lukas) in ihrer Passionserzählung – dem römischen Zivilprozess unter Leitung des römischen Präfekten Pontius Pilatus vorgelagert – eine eigenständige jüdische Gerichtsverhandlung darstellten, in der Jeschua (hebr., gr. Jesus) verurteilt wird. Zu fragen ist, weshalb alle Evangelien die Schuld in Richtung der Juden schieben und zwar in der Reihenfolge ihrer Entstehung zwischen 70 (Markus) und 110 (Johannes) u.Ztr. nach und nach zunehmend deutlicher. Es ist unausweichlich, danach die Passionserzählungen in den zeitgeschichtlichen Entstehungszusammenhang der Evangelien samt zeitgenössischer religiöser und politischer Konflikte einzubetten.


Jenseits aller Motive und Absichten der Verfasserinnen der Evangelien gilt es, sich in die Sichtweise der Menschen hineinzuversetzen, die die Wirkung dieses G’ttesmordvorwurfes erlebt haben. Deshalb ist die Kontinuität des Kollektivvorwurfes, Jeschua / Jesus getötet zu haben, zu untersuchen. Denn er wirkte sich in der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Synagoge folgenreich tragisch für die Zielscheibe des Judenhasses aus. Dieser G’ttesmordvorwurf hat bis heute – vor allem soweit Christinnen daran festhalten – eminente Bedeutung für das Verhältnis zueinander.


Mit der jährlichen Lesung der Passionserzählung nach Johannes in der Karfreitagsliturgie wird die Schuldfrage am Tode Jeschuas (hebräisch; griechisch Jesu) zumindest unmissverständlich neu gestellt und für viele Zuhörer*innen eindeutig beantwortet. Denn es ist das einzige Evangelium das – im Unterschied zu den Synoptikern, die in der Logik der kursorischen Leseordnung auch zur Auswahl stehen könnten – behauptet, „die“ Juden hätten selbst Jeschua / Jesu ans Kreuz genagelt.


Hr. Norbert C. Schmeiser

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Wer war schuld am Tod Jesu – Hinführung, Teil 1

Das Verhältnis zu anderen monotheistischen Religionen beschäftigte Dominikanerinnnen seit jeher in besonderer Weise. Von Anfang an wollten die Predigerbrüder Andersgläubige inner- und außerhalb des Christentums vom eigenen, als wahr erkannten Glauben überzeugen und Glaubenswelten aus ihrer Sicht homogen gestalten. Dazu zählte auch die Missionierung von JüdinnenJuden. Dieses Verhältnis war vielschichtig und wechselhaft. Dazu zählen ein fruchtbarer Gedankenaustausch zwischen dominikanischen und jüdischen Gelehrten, Verdienste einzelner Predigerbrüder und Terziaren in der Hebraistik ebenso wie die (Re-)Produktion und Verbreitung antijüdischer Phantasien und Ressentiments. Bei Letzterem war der G‘ttesmordvorwurf zentral. Dieser weit verbreiteten, JüdinnenJuden zu Unrecht beschuldigende Falschaussage entgegengetreten zu sein, ist das bleibende Verdienst der Dominikanerin Sr. Rose Thering OP (1920-2006). Mit ihren Studien über Religionsbücher hat sie einen wichtigen Beitrag zur Umwälzung in der katholischen Lehre über die JudenJüdinnen geleistet. Ihr Wirken hat sich in der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen niedergeschlagen: man kann die Ereignisse von Jeschuas (hebräisch; griechisch: Jesu) Leiden „weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen“ (Nostra Aetate, Nr. 4).
Dennoch sind die Passionserzählungen derart wirkmächtig, dass bis heute nicht wenige Christinnen – diese irrtümlich für historische Tatsachenberichte haltend – von der angeblichen Schuld „der“ JüdinnenJuden“ an der Exekution Jeschuas / Jesu fest überzeugt sind. Deshalb werden Jüdinnen*Juden bis heute selbst für ihre eigene Verfolgung und gesellschaftliche Diskreditierung verantwortlich gemacht.

Literatur (in Auswahl):
Elias H. Füllenbach OP, Gianfranco Miletto, Einleitung, in: Elias H. Füllenbach, Gianfranco Miletto, Hrsg., Dominikaner und Juden, Berlin, München, Boston 2015, S. XIII ff; Norbert Schmeiser, Rose Elizabeth Thering, in: BBKL XV, Sp. 1389-1417; Norbert Schmeiser, Rose Elizabeth Thering, Todestag am 6. Mai 2006. Stimme des jüdisch-christlichen Dialogs, in: Konradsblatt Nr. 18, Mai 2021, Seite 13.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Neues Buch über die Geschichte der dominikanischen Laien

Der Laiendominikaner Edoardo Mattei hat 2019 ein Buch über die Geschichte der dominikanischen Laien geschrieben. Nun wurde es von Ruth Anee Henderson in die englische Sprache übersetzt. Eine Beschreibung des Buches mit Bestellnummer finden Sie anbei:

The history of the Dominican laity is little known; it originated with the Orders of Penitents in the 10th and 11th centuries. The book retraces this long history, offering new information in addition to the familiar sources and commemorating the lay members of the Dominican Order who lived in those days.
The author, himself a lay Dominican, tells the story to all those who are eager to know about lay Dominicans, to those who have already encountered them, to those in formation, to those who are already members of the Dominican laity and never stop seeking the truth.

ASIN ‏ : ‎ B0CWRP1QG7 Herausgeber ‏ : ‎ Independently published (28. Februar 2024) Sprache ‏ : ‎ Englisch Taschenbuch ‏ : ‎ 129 Seiten ISBN-13 ‏ : ‎ 979-8880052349

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„The Other Sisters“

Der Erforschung von Frauen, die im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Westeuropa (c.a. 800–1500) Formen des religiösen Lebens außerhalb des Klosters suchten und praktizierten, widmet sich das Projekt „The Other Sisters“. Es will herkömmliche Narrative (Erzählmuster) der traditionellen Geschichtsschreibung über diese Frauen überdenken. Dazu zählt deren Darstellung als marginales Phänomen. Diese Sichtweise hängt mit der Vorstellung zusammen, das Leben vormoderner Frauen hätte sich nur zwischen den zwei Alternativen Ehe oder Kloster („aut maritus aut murus“) abgespielt. Durch dieses Konstrukt werden Frauen in zwei Gruppen aufgeteilt und ihren gelebten Erfahrungen werden künstliche Kategorien auferlegt. Demgegenüber spielten viele nicht-klösterliche Ordensfrauen in religiöser und sozialer Hinsicht eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft. Durch diese neue Sichtweise werden ihre bisherige Klassifizierung samt Terminologie problematisiert – auch im Zusammenhang mit der Übersetzung in verschiedene Sprachen. Zudem werden Organisation und Selbstidentifikation bestimmter Gruppen, die Suche dieser Frauen nach Identität im Umfeld neuer Ordnungen sowie Hinweise auf kulturellen Austausch und Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen Gruppen sowie Übergänge zwischen ihnen und zu formellen institutionellen Gemeinschaften im Laufe der Zeit untersucht. Zu diesen Frauen gehörten unter anderem Beginen, Tertiärinnen, Büßerinnen, Einsiedlerinnen, Oblatinnen und weltliche Stiftsdamen. Viele von ihnen passten nicht genau in die institutionellen Parameter. Sie waren besonders zahlreich in Städten und kamen aus unterschiedlichen sozialen Hintergründen – im Gegensatz zu ihren Klosterschwestern, die überwiegend aus adligen und patrizischen Verhältnissen stammten.


Die neue Definition und Kontextualisierung der Erfahrungen dieser Frauen ermöglicht es, das historiografische Standardbild zu korrigieren. Dadurch trägt das Forschungsprojekt zur Klärung der Stellung religiöser Frauen in Kirche und Gesellschaft bei.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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