Wer war schuld am Tod Jesu? VI – a – 2

Die Kollektivschuldthese spitzte der als „Vater der Kirchengeschichte“ und Kirchenvater gewürdigte Eusebius von Caesarea (geb. 260/64; gest. 339 oder 340 u.Ztr.) zu. Er verbreitete sie in seiner nach 324 verfassten Kirchengeschichte. Darin sieht er in der Zerstörung des jüdischen Tempels durch die Römer (70 u.Ztr.) sowie im Landverlust und in der Zerstreuung der Jüdinnen * Juden unter die Völker (nach 135 u.Ztr.) die Strafe G‘ttes für ihren angeblichen G’ttesmord. Er konstruiert einen evident nicht existierenden Zusammenhang, um den Jüdinnen * Juden selbst die Schuld an ihrer Verfolgung zu geben.
In seinem Kommentar zu Psalm 109,9 leitet Eusebius das Wort „Juden“ von „Judas“ ab. Er schlussfolgert, die Jüdinnen * Juden stünden nach dem Fleisch in der Linie des Verräters Judas, während Christinnen * Christen in der Linie von Juda Jüdinnen * Juden im Geiste seien. Darin zeigt sich die dämonisierende Wirkung dieses Vorwurfes auf seine jüdischen Zeitgenossen.


Die Bestrafungsphantasie propagiert der als Heiliger, Kirchenvater und Schutzpatron verehrte Hieronymus (geb. um 348/349, gest. am 30. September 420 u.Ztr.), wenn er ebenfalls mit dem vermeintlichen G‘ttesmord die Not der seit der Tempelzerstörung 70 u.Ztr. in der Welt zerstreuten Jüdinnen * Juden begründet. Zudem hält er den Maschiach / Messias, den die Juden nach Jeschua / Jesus weiter erwarteten, für den Antichristen. Damit demonstriert er die dämonisierende Wirkung der Kollektivschuldthese für Jüdinnen * Juden und ebnet der Täter-Opfer-Umkehr als zentralem Merkmal des Judenhasses den Weg.

Gravierende, für Jüdinnen * Juden lebensbedrohliche Konsequenzen der Gottesmordthese benutzten diese zu Kirchenvätern erhobenen Theologen als Rechtfertigung für die Ausgrenzung von Judenchristen aus der Kirche und damalige Judenpogrome. Die Folge war die andauernde Unterdrückung der Jüdinnen * Juden im römischen Kaiserreich.

Hr. Norbert C. Schmeiser

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Wer war schuld am Tod Jesu? (VI-a-1)

Die Schuldverschiebung auf Kosten der Jüdinnen * Juden spiegelte nicht nur wider, wie sich jes(ch)uanisch-messianisch und jüdische Gläubige unterschiedlicher Richtungen auseinanderlebten, sondern bereitete den Vorwurf vor, Jeschua / Jesus getötet zu haben, und begleitete ihn: zunächst bei den Synoptikern gegenüber jüdischen Behörden und später im Johannesevangelium an „die Juden“ gerichtet. Letzteres dokumentiert einen fortgeschrittenen Prozess der Herausbildung eines jüdisch-christlichen Gegensatzes und der gegenseitigen Entfremdung. Ein weiteres Indiz dafür ist der etwa zeitgenössische Brief von Ignatius von Antiochien an die Magnesier.


Ende des 2. Jh. klagte der Bischof Melito von Sardes († um 190) die Juden in seiner Predigt „Über das Osterfest“ an: „Gott ist getötet worden, der König Israels beseitigt von Israels Hand“. Melito verschärft den G’ttesmordvorwurf, indem er in der Passionserzählung den Gebrauch der „spitzen Nägel“, „Geißeln“ und des „Schwertes“ dem Johannesevangelium folgend von den Römern auf „die“ Juden überträgt. Damit macht er sie zu denen, die Jeschua / Jesus nicht nur zum Tod verurteilten und auslieferten, sondern gefoltert und selbst hingerichtet hätten. Zugleich verbreitet er die Behauptung von der angeblichen Kollektivschuld unter den christlichen Hörerinnen * Hörern.


„Bis in unsere Gegenwart wurden der sog. Blutruf und die Gottesmordthese immer wieder als Beschuldigung in Predigt und Theologie, in Frömmigkeit und Unterweisung sowie Brauchtum und Bildtradition wiederholt. Sie haben unermesslichen Schaden verursacht. Zahlreiche Judenverfolgungen wurden mit ihnen gerechtfertigt“ (Henrix).


Literatur (in Auswahl):
Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004; Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder, Reinbek 1991.


Hr. N. C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? (V d-3)


Gegenüber dem Verdacht, staatszersetzend und illoyal gegenüber dem Kaiser zu sein, sollte die Minderung der Schuld des römischen Präfekten Pontius Pilatus am Tod Jesu in den Passionserzählungen den erhofften Vorteil verschaffen, das Verhältnis zur römischen Staatsmacht erträglich zu gestalten, dessen Gunst zu erwerben und die weitere Duldung der jesuanisch-messianischen Gemeinden zu erreichen. Diese politische Motivation implizierte ökonomische Vorteile: Nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels wurden JudenJüdinnen zu einer Sondersteuer für den Jupitertempel („fiscus Iudaicus“, „Ioudaikon telesma“) veranlagt. Durch die Betonung der Distanz zum Judentum, waren diejenigen, die an den in den Evangelien verkündeten Maschiach/Messias glaubten, nicht davon betroffen. Jenseits der Intentionen und Motivationen der Verfasserinnen der Evangelien gilt es, sich in die Perspektive derjenigen zu versetzen, die die Wirkung dieses Judenhasses erlebt haben. Deshalb soll systematisch die Kontinuität des Kollektivvorwurfes, Jeschua (hebr.; gr.: Jesus) getötet zu haben, „über Epochen und geografische Räume hinweg untersucht … werden“ (Rickert). Denn für die Auseinandersetzung „zwischen Kirche und Synagoge wirkte sich besonders weitreichend und letztlich folgenreich tragisch die Tendenz der neutestamentlichen Schriften aus, die Juden für den Tod Jesu verantwortlich zu machen“ (Henrix). So wurde der im Matthäusevangelium anzutreffende Satz „Da rief das ganze Volk: ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder‘“ (Mt 27,25) „zu einem Eckpfeiler für Abgrenzung und Feindseligkeit. Er diente später und im Zusammenspiel mit anderen Streitfragen als Grund und Stütze eines jahrhundertelangen christlichen Antisemitismus“ (Henrix). Die unmissverständliche Darstellung von Juden als G’ttesmörder wurde in Text und Bild bis in die neueste Zeit fortgesetzt.

Auswahl der verwendeten Literatur:
Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004, S. 30; Rickert, Tami, Analyse von antisemitischen Bildern und Stereotypen im Unterricht, in: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg u.a., Hg., Wahrnehmen – Bennen – Handeln. Handreichung zum Umgang mit Antisemitismus an Schulen, Stuttgart 2019, S. 86-88.


Hr. Norbert C. Schmeiser

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Monastische Tradition

Markus Mössner gibt einen kurzen geschichtlichen Einblick in die monastische Tradition des Christentums und zeigt kurz auf, wie diese mit den Dominikanerorden zusammenhängt.

Wüste, www.pixabay.com

Der Dominikanerorden gehört zur monastischen Tradition. Das unterscheidet ihn beispielsweise von einem Ritterorden und verbindet den Predigerorden mit Franziskanern, Zisterziensern und anderen monastischen Orden.

Das Wort monastisch, von dem auch die Bezeichnung Mönch abgeleitet ist, kommt von der Wurzel „Mono“, was einzeln oder allein bedeutet. Gemeint ist damit nicht unbedingt, dass Ordensangehörige Eremiten sein müssen, sondern es weißt auf eine gewisse Distanz zur „Welt“ hin. Diese Distanz bedeutet, dass nicht das „Weltliche“, sondern das Geistliche Leben der Hauptfokus eines Ordensmenschen ist. Dabei gibt es in der Geschichte der Monastischen Tradition ganz unterschiedliche Ausprägungen, wie das Geistliche Leben gelebt werden kann.

In den meisten Religionen gibt es monastisches Leben, uns interessiert hier jedoch nur die jüdisch-christliche Tradition.
Im Israel zur Zeit Jesu gab es eine blühende monastische Landschaft. Dem berühmtesten Beispiel begegnen wir gleich zu Beginn der Neuen Testamentes im dritten Kapitel des Matthäusevangeliums. Es ist Johannes der Täufer, der zurückgezogen von der Welt in der Wüste lebt. Um ihn hat sich ein Jüngerkreis gebildet, der unter seiner Anleitung das monastische Leben praktiziert. Damit stehen Johannes und seine Gemeinschaft in der Tradition der altjüdischen Prophetenschulen. Die Propheten des alten Bundes lebten in der Regel ein monastisches Leben, wobei, wie bei Johannes, auf eine Zeit der eremitischen Zurückgezogenheit, oft eine Zeit des öffentlichen Auftritts und der Unterweisung von Jüngern folgte.
Diese Form des monastischen Lebens ist noch kein Ordensleben. Aber auch zur Zeit Jesu gab es in Israel schon einen monastischen Orden, den Orden der Essener. Flavius Josephus beschreibt diesen im 8. Kapitel des 3. Buches seines Werkes „Der Jüdische Krieg“. Nach Josephus waren die Essener neben Pharisäern und Sadduzäern die dritte religiöse Kraft in Israel. Sie lebten ihr monastisches Leben nicht in der Wüste, sondern hatten Ordenshäuser in allen Städten Israels. Dort lebten sie nach einer gemeinsamen Regel zusammen. Die gemeinsame Regel ist der wesentliche Unterschied, der einen Orden von monastischen Gemeinschaften, wie den Prophetenschulen, abhebt.

Auch wenn es im Christentum von Anfang an Menschen gab, die ein monastisches Leben führten, wurde dieses erst nach dem Ende der Verfolgungen zu einer breiten Bewegung.
Hierauf hatte die Lebensbeschreibung des heiligen Antonius einen großen Einfluss. Dieses, von Athanasius dem Bischof von Alexandrien verfasste Buch, war so etwas wie der erste Bestseller der monastischen Literatur. Antonius war als junger Mensch von der Begegnung Jesu mit dem reichen Jüngling so ergriffen, dass er sein beträchtliches Erbe verschenkte und in die Wüste ging. Dort lernte er nach und nach ein geregeltes und ausgeglichenes monastisches Leben zu führen und gab sein Wissen dann später auch weiter. Damit begann die Zeit der ägyptischen Wüstenväter und -mütter, die einen nachhaltigen Einfluss auf alle späteren monastischen Bewegungen der Christenheit hatte und hat.
Auch aus Europa machten sich Suchende auf, um von den Wüstenvätern zu lernen. Einer von ihnen war der um 360 n. Chr. geborene Johannes Cassian, der mit seinem Gefährten Germanus in die Wüste Ägyptens reiste. Dort besuchten die beiden verschiedene Väter und befragten sie. Diese Gespräche wurden zur Grundlage seines späteren Hauptwerkes, den „Collationes Patrum“, auf deutsch „Unterredungen mit den Vätern“.

Cassian war nach Martin von Tours nicht nur der zweite Klostergründer in Westeuropa, sein Buch wurde auch Inspiration für weitere Ordens- und Klostergründungen über die Jahrhunderte hinweg. Sowohl Benedikt von Nursia (480-547 n. Chr.), als auch Dominikus (1170-1221 . Chr.) studierten die „Collationes Patrum“ intensiv.

Hl. Dominikus, www.pixabay.com

Während des ersten Jahrtausends entstanden zahlreiche Klöster in Europa, in denen Mönche und Nonnen nach einer festen Regel lebten. Nach und nach setzte sich die Regel Benedikts als Standard durch. Im Laufe der Zeit ergab sich immer wieder die Notwendigkeit von Reformen, weil der ursprüngliche Geist des Monastischen Lebens verloren zugehen drohte. Dies war auch im 12. Jahrhundert der Fall. Die Kirche, die Klöster und der Klerus waren reich geworden, während ein Großteil der Bevölkerung arm geblieben war. Dieser schreiende Widerspruch zum Evangelium brachte neue monastische Bewegungen innerhalb wie außerhalb der Kirche hervor. Die bekannteste Gestalt dieser insgesamt „Armutsbewegung“ genannten Reformbemühungen war Franziskus von Assisi, ein weiterer war Dominikus, unser Ordensvater.

Diese monastischen Reformbewegungen brachten die eigentlichen Orden hervor. Nun gehörten Mönch oder Nonne nicht mehr zu einem bestimmten Kloster, an einem festen Ort, sondern zu einer Gemeinschaft, die sich über ganz Europa erstrecken konnte. Eine weitere Entwicklung war, dass diese neuen Orden neben Mönchen und Nonnen auch Laien aufnahmen. So entstanden die sogenannten Drittorden oder Laienzweige, zu denen auch wir, als Dominikanische Laiengemeinschaft im Predigerorden gehören.

Hr. Markus Mössner OP

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Wer war schuld am Tod Jesu ? V d-2

Die Schuldzuweisung an die jüdischen Instanzen wird zeitlich vom zuerst entstandenen Markusevangelium bis zum lukanischen Werk immer deutlicher herausgestellt. Im Johannesevangelium wird die gesamte Schuld sieben Mal „den“ JüdinnenJuden zugesprochen. Es inszeniert den Ablauf so, dass es die Juden selbst Jesus kreuzigen lässt, obwohl ihre Hinrichtungsart die Steinigung war. Wenn man diese Entwicklung der sich zuspitzenden Schuldzuschreibung ernst nimmt, dann müssen sich diese Texte mit dem Verdacht auseinandersetzen, frühchristlicher Judenfeindlichkeit zu entspringen und eine bewusste Entscheidung gewesen zu sein (vgl. Maccoby). Die Rivalität zwischen JüdinnenJuden und Christgläubigen dreht sich im Kern darum, wer G’ttes Volk, wer das „wahre Israel“ ist. Das schließt das Erbe der Verheißungen an die Väter, den Besitz der rechtmäßigen Heiligen Schrift und deren rechtmäßiger Interpretation ein. Denn beide gehen auf die gleiche Wurzel zurück. Der christliche Glaube bildete sich „in Frontstellung … gegen das Judentum“ (Henrix) heraus. Dadurch fühlten Christinnen sich zeitgleich mit binnenchristlichen Auseinandersetzungen und der römischen Militärdiktatur herausgefordert. Der sich in der Schuldzuweisung für die Exekution Jeschuas/Jesu an JudenJüdinnen zeigende religiös begründete Judenhass ist auch von erhofften eigenen Vorteilen getragen. Denn je mehr der römische Staat das entstehende Christentum als eigenständigen Kult einschätzte, desto mehr verlor es den staatlichen Schutz, den es so lange genossen hatte wie sein Kult als jüdisch angesehen wurde. Erschwerend kam hinzu, dass Christusgläubige mit Jeschua/Jesus jemanden als Gott verehrten, den die Römer als politischen Rebellen und Hochverräter gekreuzigt hatten. Christgläubige standen nun selbst im Verdacht illoyaler und staatszerstörender Tendenzen, auch weil ihre Anhängerschaft wuchs.
Verwendete Literatur (in Auswahl): Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004; Maccoby, Hyam, Ein Pariavolk. Zur Anthropologie des Antisemitismus, Leipzig 2019.
Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? V d-1

Warum stellten in erster Linie die synoptischen Evangelien den jüdischen Prozess gegen Jeschua/Jesus im Widerspruch zu jüdischen Rechtsvorschriften dar? Weshalb verschoben alle Evangelien die Schuld in Richtung der Juden anstatt – historisch richtig – die römischen Besatzer in Person des Präfekten Pontius Pilatus eindeutig als allein verantwortlich zu benennen?


Die Evangelien entstanden zwischen 70 und 110 u.Ztr., als sich nicht nur innerhalb der sich herausbildenden christlichen Gruppierungen, sondern auch zwischen ihnen und den Juden*Jüdinnen wegen des jes(ch)uanischen Messiasbekenntnisses, des Glaubens an die G’ttessohnschaft Jesu und der Einhaltung der mosaischen Gebote Gegensätze herausgebildet hatten. „Aus einem innerjüdischen konflikthaften Ringen war so zunehmend ein Kampfverhältnis zwischen Synagoge und Kirche geworden. Während der Zeit des sich verschärfenden Kampfes entstanden die Schriften des Neuen Testaments. Sie spiegeln an vielen Stellen die Heftigkeit der Auseinandersetzung wider. Manchmal verlagerten sie eine Konfliktsituation zur Zeit der Schriftwerdung in die Zeit Jesu zurück … Manche Äußerungen lassen sich aus der Enttäuschung der Anhänger Jesu erklären, dass so wenige Juden den Glauben an Jesus als Christus annehmen. Für die Kampfsituation zwischen Kirche und Synagoge wirkte sich besonders weitreichend und letztlich tragisch die Tendenz der neutestamentlichen Schriften aus, die Juden für den Tod Jesu verantwortlich zu machen; die stärkere Zuschreibung der Verantwortung für den Tod Jesu auf das jüdische Volk geht in den späteren Evangelien mit der Minderung der Verantwortung des römischen Statthalters Pontius Pilatus an der Verurteilung Jesu einher“ (Henrix). Die dramatische Konstruktion der Evangelien unterstreicht die vermeintliche jüdische Schuld.

Verwendete Literatur (in Auswahl): Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004.


Hr. Norbert C. Schmeiser

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Wer war schuld am Tod Jesu? V c

Die Evangelien spiegeln wider, wie das vielfältige Judentum und der sich in Pluralität entwickelnde jes(ch)uanisch-messianische Glaube sich langsam auseinanderlebten. Es entstand ein religiöser Wettbewerb zwischen ihnen und innerhalb der verschiedenen Glaubensrichtungen des entstehenden Christentums während der Herrschaft der römischen Militärdiktatur. Nach der vernichtenden Niederschlagung des Aufstandes in der Provinz Judäa um 70 u.Ztr. wurden die Evangelien verfasst. Danach galten JüdinnenJuden reichsweit als ewige Rebellen und wurden verstärkt von den römischen Militärbehörden beobachtet. Infolgedessen erschwerten aus der Sicht der Evangelien sowohl das Judesein Jeschuas / Jesu als auch seine Hinrichtung als politischer Widerständler („König der Juden“) die Mission im Imperium Romanum. Das betraf vor allem römische Staatsbürger, die keine JüdinneJuden waren. Indem alle Evangelien vermeiden, den römischen Präfekten das Todesurteil aussprechen zu lassen, suchen sie ihre Leser*innen und die römischen Militärbehörden davon zu überzeugen, dass das Bekenntnis zu Jeschua / Jesus nicht gegen den Kaiser gerichtet war. Damit verbanden sie die Hoffnung, die Folgen der Verfolgung unter Kaiser Nero zu mildern, das Verhältnis zur römischen Staatsmacht erträglich zu gestalten und die weiere Duldung der jes(ch)uanisch-messianischen Gemeinden zu erreichen. Die entlastende Schuldreduktion der Römer auf ein Minimum ging in der Konkurrenz zwischen jüdisch und jes(ch)uanisch-messianisch Gläubigen auf Kosten der jüdischen Seite – die Evangelien bauschten deren Schuld zum eigenen Vorteil auf. In der Folge wurde aus dem historischen Pontius Pilatus, dem Judenfeind und Judenverfolger, ein „zögernder, unsicherer Mann, der von Evangelium zu Evangelium immer sanfter und liebenswürdiger wird“ (Heer; die frühere Äthiopische Staatskirche feiert den Gedenktag des von ihr als Märtyrer heiliggesprochenen St. Pilatus am 25. Juni). Dadurch dienten die Evangelien sich politisch gleichzeitig den Römern an, um deren Gunst zu erwerben.

Verwendete Literatur (in Auswahl): Brenner, Michael, Kleine Jüdische Geschichte, München 2008; Henrix, Hans Hermann, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004; Heer, Friedrich, Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum, München u.a. 1967; Martin, Bernd, Schulin, Ernst, Hrsg., Die Juden als Minderheit in der Geschichte, München (2. Aufl.) 1982; Stemberger, Günter, Das klassische Judentum. Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit, München1979.


Hr. Norbert C. Schmeiser

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Wer war schuld am Tod Jesu? (V b-4)

Die messianisch-jes(ch)uanischen Juden und Jüdinnen (sog. Judenchristen) wurden von den Römern als Juden bzw. als eine jüdische Gruppierung angesehen. Darum traf das Vereinsverbot und die Verpflichtung zum Kaiserkult zunächst nicht auf sie zu, wovon auch die vormals nichtjüdischen Christeninnen profitierten. Diese Befreiung entfiel mit der fortschreitenden Loslösung vom Judentum. Mit der sukzessiven Trennung wurde das entstehende Christentum auch vom römischen Staat als eigenständiger Kraft wahrgenommen. Damit verlor der von den Römern als Aberglaube betrachtet christiche Kult immer mehr den staatlichen Schutz, den er genossen hatte, solange er alsjüdusch angesehen wurde. Dass diejenigen, die Jeschua/Jesus für den Maschiach/Messias hielten, jemanden als Gott verehrten, den die römischen Herrscher als politischen Rebellen und Hochverräter hingerichtet hatten, erschwerte ihre Lage. Sie standen nun selbst im Verdacht, illoyal dem Kaiser gegenüber zu sein. Sie galten als staatszersetzend und gefährlich – nicht zuletzt auch wegen des unaufhaltsamen Wachstums der Anhängerschaft. In der Folgezeit der Beschuldigung der Christinnen durch Kaiser Nero beim Großbrand in Rom 64 u. Ztr. waren sie geächtet und galten generell als potenzielle Verbrecher. Der Absolutheitsanspruch des Kaisers Domitian für seine Person brachte ab 93 die Verfolgung von christlichen Adligen aus politischen Gründen mit sich. In den Provinzen in Kleinasien und im Nahen Osten kam es zu Spannungen zwischen Christ*innen und den römischen Prokuratoren bzw. Präfekten, die deren Verbannung (vgl. Off 1,9) und Tötung einschloss (vgl. Off 2,13; von diesen Drangsalierungen sprechen der um entstandene 1. Petrusbrief [1 Petr 4,15] sowie der um 100 u. Ztr. entstandene 1. Clemensbrief).

Verwendete Literatur in Auswahl: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977; Heer, Friedrich, Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum, München u.a. 1967; Jedin, Hubert, Hg., Handbuch der Kirchengschichte. Band I. Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Freiburg u.a. 1963; Schubert, Kurt, Jüdische Geschichte, München (8. Aufl.) 2017; https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_Römischen_Reich; https://www.bibelwissenschaft.de/ressourcen/bibelkunde/bibelkunde-nt/1-petrusbrief-1petr ; https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Clemensbrief#cite_ref-10 ; https://www.bibelwissenschaft.de/ressourcen/bibelkunde/bibelkunde-nt/1-clemensbrief-1clem https://de.wikipedia.org/wiki/Noachidische_Gebote#Die_Noachidischen_Gebote

Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? V b-3

Jüdinnen und Juden siedelten im gesamten Imperium Romanum. Wegen des Ersten Gebotes verehrten sie nur einen einzigen, ihren eigenen G‘tt. Sie lehnten die Bilder- und Götzenkulte ihrer Umgebung für sich ab und nahmen am vom Polytheismus (Mehrg’ttglauben) geprägten Gesellschaftsleben nicht teil. Weil sie keine Standbilder als Zeugnis ihres G‘ttes aufstellten, galten sie weiten Teilen der Bevölkerung als fremd. Dass ein solcher G‘tt ebenso erhabener und stark sein könnte wie ihre Götter aus Gold, war vielen antiken Zeitgenossen unverständlich. Jüdinnen und Juden wurden Gründe unterstellt, ihren G’tt vor Fremden zu verbergen. Antike judenfeindliche Traditionen greift der römische Geschichtsschreiber Tacitus (50-120 u.Ztr.) in seinen „Historien“ auf und verbreitet sie: JüdinnenJuden seien wegen des Ruhetages am Schabbat faul, sie seien die Seuche, die der Pharao zu vertreiben befahl (Exodus) und Tacitus verspottet die JüdinnenJuden, weil sie einen Esel als G‘tt verehren würden.


Weil im Judentum auch solche Nichtjüdinnen/-juden als Gerechte gelten, die die Noachidischen Gebote einhalten (vgl. Gen 9,1-13), wurden diese nicht angegriffen. Das Judentum haben römische Kaiser bis Caligula (37-41 u.Ztr) auch aufgrund seines hohen Alters grundsätzlich toleriert, sofern politisch die römische Herrschaft geachtet wurde. Ihm wurde nach der Einnahme Jerusalems durch Pompeius 63 v.u.Ztr. – vor allen während der Herrschaft des Augustus (31 v.u.Ztr. – 14 u.Ztr.) – grundsätzlich Religionsfreiheit gewährt. Deshalb waren JüdinnenJuden vom Kaiserkult und Vereinsverbot dispensiert, sie durften sich in Synagogen versammeln. Zudem behielten sie weitgehend ihre eigene Gerichtsbarkeit – abgesehen vom Todesurteil.


Verwendete Literatur in Auswahl: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977; Martin, Bernd, Schulin, Ernst, Hrsg., Die Juden als Minderheit in der Geschichte, München (2. Aufl.) 1982; https://www.christen-und-juden.de/html/tacitus.htm; https://www.christen-und-juden.de/index.htm html/gierlich.htm; https://de.wikipedia.org/wiki/Noachidische_Gebote#Die_Noachidischen_Gebote


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? (V b-2)

Von diesen verschiedenen Richtungen bzw. Gruppen, die zeitlich und räumlich nebeneinander lebten, sind etwa folgende sich als thoratreu verstehende, sog. Judenchristen historisch nachweisbar: A) Ebioniten (hebr. „Arme“, in der Tora werden die Gottesfürchtigen als „Ebionim“ bezeichnet [vgl. 1 Sam 2,8, Ez 22,29, Am 5,12]); einige von ihnen glaubten an Jeschua / Jesus als den Maschiach / Messias, bestritten allerdings seine Göttlichkeit, lehnten Paulus und seine Briefe ab und sprachen wahrscheinlich Aramäisch; andere erkannten die Göttlichkeit Jeschuas / Jesu an, feierten außer dem Schabbat den Sonntag und mit Nichtjuden das Abendmahl. (B) die Nazarener (in Apg 24,5 bezeichnet der Römer Tertullus Paulus als einen Anführer der „Nazoräer“) sahen Jeschua / Jesus als G’ttes Sohn an und glaubten an den Heiligen Geist und die Jungfrauengeburt; der Kirchenvater Hieronymus hielt sie im 5. Jahrhundert für eine jüdische Sekte. C) Darüber hinaus gab es Gruppen, die an Jesus als Messias und Propheten glaubten und einige Teile der Bibel ablehnten.
Sog. Judenchristen bildeten eine starke Fraktion, wie die Berufung Beschnittener zu Bischöfen bzw. bevollmächtigten Oberhäuptern der Jerusalemer Gemeinde in der Nachfolge des Jakobus – einer „Säule“ (Gal 2,9) der Urkirche – bis in die Zeit zum Aufstand des Schimon Bar-Kochba (dt.: Sternensohn, 132-136 u.Ztr.).
Das Wort „Christen“ ist nach dem Zeugnis der griechischsprachigen, lukanischen Apostelgeschichte eine Fremdbezeichnung der (jüdischen) Bevölkerung Antiochias für die messianisch-jes(ch)uanisch Eingestellten (vgl. Apg 11,26), wobei der Exeget Franz Delitzsch im hebräischen Zweiten (Neuen) Testament (Berit chadascha), für diese Gruppe den Ausdruck „Messianische“ (משיחיים meschijchijjim) verwendet.
Einen vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung dokumentiert der Brief von Irenäus von Antiochia an die im Westen Kleinasiens beheimateten Magnesier (Kap. X; 100-110 u.Ztr.), in dem der Ausdruck „Christianismos“ (dt. das Christentum) erstmals auftaucht.

Verwendete Litertaur: z.B. Brumlik, Micha, Entstehung des Christentums, Berlin 2010, S. 18-47; Heer, Friedrich, Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum, München u.a. 1967, S. 50-62; Jedin, Hubert, Hg., Handbuch der Kirchengschichte. Band I. Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Freiburg u.a. 1963, S. 73-79, 91-92, 133, 180-186; https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_Römischen_Reich; https://de.wikipedia.org/wiki/Ebioniten#cite_ref-7; https://de.wikipedia.org/wiki/Nazarener_(Religion)#Im_ersten_Jahrhundert; https://library.biblicalarchaeology.org/article/was-the-gospel-of-matthew-originally-written-in-hebrew/; https://de.wikipedia.org/wiki/Brief_des_Ignatius_an_die_Magnesier.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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