Wer war schuld am Tod Jesu? (V-b1)

Die Passionserzählungen sind auf dem Hintergrund des sich aus dem vielfältigen Judentum herauslösenden und sich differenzierenden neuen Glaubens an Jesus als den Maschiach (hebr., griech. Transkription Messias) zu verstehen. Dieser Glaube entfaltet sich in verschiedene Richtungen
Die JüdinnenJuden, die Jeschua / Jesus für den Maschiach hielten, sahen sich anfangs als jüdische Erneuerungsbewegung. So wandten sich deren Missionare „zuerst an die Juden und predigten in ihren Synagogen“ (Brüggenboes, vgl. Apg 13,9.14; 14,1; 17,2.17; 18,4.26; 19,8), die im ganzen Imperium Romanum verbreitet waren. Dabei trafen sie römische, polytheistische Staatsbürger aller Nationen, die die als hedonistisch und dekadent empfundene Lebensweise ihrer Oberschicht abstieß und sich religiös neu orientierten (sog. Gottesfürchtige in Apg 13,16; 16,14; 17,17; 18,7). Weil JüdinnenJuden, die Jeschua / Jesus für den Maschiach / Messias hielten, sich bisher an die mosaischen Gebote hielten (z.B. Kaschrut [Speiseregelungen], Brit Mila [Beschneidung], Zeremonialgesetze), stellte sich die Frage nach deren Verbindlichkeit für nichtjüdische Interessierte an der sich herausbildenden Gemeinde. Eine Abweisung dieser Gläubigen bzw. eine offene Spaltung wurde durch das Apostelkonzil zunächst vermieden (vgl. Apg 15, Gal 2,1-10). Damit bzw. danach stellte sich die Frage, ob diese Messiasgläubigen sich noch als eine jüdische Gruppierung verstehen konnten. Weiterhin hielten sich vor allem ehemalige Jüdinnen*Juden weiterhin an mosaische Gebote. Daraus erwuchsen verschiedene Richtungen, die sowohl innerhalb der entstandenen Gemeinden nebeneinander existierten als auch eigene Gemeinden bildeten. Aus der Perspektive jüdischer, nicht jes(ch)uanisch-messianischer Gruppierungen betrachtet sind diese Personen der Tora gegenüber untreu und abtrünnig. Von diesen verschiedenen Richtungen bzw. Gruppen, die zeitlich und räumlich nebeneinander lebten, sind sich als thoratreu verstehende, sog. Judenchristen wie etwa Ebioniten und Nazarener historisch greifbar.

Verwendete Literatur: z.B. Brüggenboes, Wilhelm, Kirchengeschichte, Düsseldorf 1972, S. 9-15; Brumlik, Micha, Entstehung des Christentums, Berlin 2010, S. 18-47; Heer, Friedrich, Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum, München u.a. 1967, S. 50-62; Jedin, Hubert, Hg., Handbuch der Kirchengschichte. Band I. Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Freiburg u.a. 1963, S. 180-186; Poliakov, Léon, Geschichte des Antisemitismus. I. Von der Antike bis zu den Kreuzzügen, Worms 1977, S. 16; https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_Römischen_Reich.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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