Wer er war schuld am Tode Jesu ? (III)

Wer sich der alleinigen Verantwortung der römischen Besatzungsmacht für das Todesurteil gegen Jeschua (hebr., gr. Jesus) bewusst ist, stellt sich die Frage, wie damit der Todesbeschluss des Hohen Rates (Synedrion) in den synoptischen Passionserzählungen vereinbar ist.


Laut den Synoptikern wurde Jeschua / Jesus vom Hohen Rat, der grundsätzlich 71 Personen umfassenden, obersten jüdischen Verwaltungs- und Justizbehörde, befragt und zum Tode verurteilt (vgl. Mk 14,55-64; Mt 26,59-66, 27,1, Lk 22,66-71; über den Prozess vor dem jüdischen Gerichtshof sagt das Johannesevangelium nichts – außer dass Jeschua / Jesus zu Kajaphas geschickt wurde – vgl. Joh 18,24).
Für Kapitalprozesse besaß die oberste jüdische Gerichtsbehörde unter der römischen Besatzungsherrschaft keine Kompetenz, zu verhandeln und Todesurteile zu fällen – mit der einzigen Ausnahme der heidnischen Tempelschändung, die hier nicht gegeben war. Deshalb wird das Synedrion „ein förmliches Todesurteil … kaum ausgesprochen haben“ (Gnilka).


Nach der Darstellung des Markus- und Matthäusevangeliums habe der Prozess nachts stattgefunden (vgl. Mk 14,17.53-64; Mt 26,20.31.34). Ein Kapitalprozess durfte nach jüdischem Recht aber nicht in der Nacht stattfinden. Indem dessen Ende auf die frühen Morgenstunden verlegt wird (vgl. Mk 15,1; Mt 27,1) und Lukas den Prozess komplett am Morgen stattfinden lässt (vgl. Lk 22,66-71), bekommt er einen legalen Anschein.


Den synoptischen Evangelien folgend sei der Prozess am Vorabend des Pessach-Fests (hebr. פֶּסַח) durchgeführt worden (vgl. Mk 14,12.17f; Mt 26,17-19.20; Lk 22, 1.7-8,15). An diesem Vorabend, dem Erew Pessach, wird allerdings das symbolträchtige Seder-Festmahl gehalten – er ist einer der heiligsten Tage der Juden (vgl. Ex 12,14-20). Darum werden dann keine Gerichtsverhandlungen geführt. Schon am Schabbat oder einem anderen Festtag durfte nach der älteren Halachah, der Gesamtheit jüdischer Rechtsvorschriften, kein Gerichtsprozess stattfinden. Er konnte auch deshalb nicht auf den Vorabend vorgezogen worden sein, weil in jüdischer Zeitbetrachtung der Tag am Vorabend beginnt (vgl. Gen 1,5.8.13, 19, 23, 31).

Weitergehend stellt sich die Frage, „ob überhaupt eine regelrechte Gerichtsverhandlung des Synedrions stattgefunden hat“ (Söding).


Verwendete Literatur: Baumann, Arnulf, H., Hg., Was jeder vom Judentum wissen muß, Gütersloh, (4. Aufl.) 1987, S. 140; Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 54-55; Cohn, Chaim, Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, Berlin 2017; Holger Fröhlich im Interview mit Christian Wiese, Von der Schuld am Tode Jesu: Eine Spurensuche, in: https://brefmagazin.ch/artikel/von-der-schuld-am-tode-jesu-eine-spurensuche/; Fruchtenbaum, Arnold G., Das Leben des Messias. Zentrale Ereignisse aus jüdischer Perspektive, Hünfeld (8. Aufl.) 2015, 87; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. (3. Aufl.) 1979, S. 284-289, 284-285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009); Nachama, Andreas u.a., Basiswissen Judentum, Bonn 2018, S. 269-270; Pawlikowski, John T., Catechetics and Prejudice: How Catholic Teaching Materials View Jews, Protestants and Racial Minorities, New York u.a. 1973, S. 79-86, 100-107; Salomon, Norman, Judentum. Eine kurze Einführung, Stuttgart 1996, S. 71-73; Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238.

Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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