Wer ist schuld am Tode Jesu? I

Jährlich zur Passions- und Osterzeit wird die Schuldfrage am Tode Jeschuas (hebräisch; grechisch Jesu) neu gestellt. Diese ist auf dem Hintergrund der Besetzung des südöstlichen Mittelmeerraumes durch die Römer zu beantworten. Denn diese haben über die von ihnen errichtete Provinz Judäa einen Statthalter (Prokurator) des römischen Kaisers eingesetzt. Wie in den anderen Provinzen galt Militärverwaltung. Der Statthalter war mithin der Kommandant römischer Truppen. Vier Kohorten waren in seiner Residenz Cäsarea stationiert, von denen eine immer in Jerusalem in der Burg Antonia lag. Mit einer weiteren Kohorte kam der Statthalter zu den großen Festen nach Jerusalem. Zudem war er nicht nur dafür zuständig, Steuern und Zölle einzutreiben, sondern als auch oberster Militärrichter hatte nur er das Recht, die Todesstrafe zu verhängen und vollstrecken zu lassen. Deshalb wurde Jeschua / Jesus auf Befehl des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet. Das geschah nach römischer Hinrichtungsart, nämlich Verurteilte kreuzigen zu lassen. Menschen wurden für Verbrechen mit politischer Bedeutung vor allem Anstiftung zum Aufruhr, Desertion zum Feind, Geheimnisverrat etc. zur Kreuzigung verurteilt. Aus der Perspektive der römischen Besatzungsmacht war Jeschua / Jesus jemand, der durch seine Anhängerschaft und als Unruhestifter im Tempelbezirk eine politische Gefahr darstellte. Dementsprechend nennt das Markusevangelium als Grund für seine Hinrichtung die Inschrift „Der König der Juden“ (Mk 15,26). Diese Kennzeichnung spiegelt die römische Perspektive wider. Ein „König der Juden“ hätte den Herrschaftsanspruch des römischen Reiches infrage gestellt und zwar unabhängig davon, wie Jesus sein eigenes Königsein verstanden hat. Weil die römische Besatzungsmacht einen jüdischen Aufstand fürchtete und sich von den unterdrückten Völkern kein Todesurteil diktieren ließ, kommt nur sie als die Instanz in Frage, die die Kreuzigung initiiert und vollstreckt hat.


Verwendete Literatur: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 46-48; Feldmann, Christian, Henker oder Heiliger? In: Konradsblatt Nr. 14/15/16, 2023 S. 38-39; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. 1979, S. 285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; Küng, Hans, Das Judentum, München1981, S. 407-428; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Linke, Georg, Wer war schuld am Tode Jesu? Die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes in Gottes Bund, in: vom 10.03.2011; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009; Ritt, Hubert, Wer war schuld am Tod Jesu? In: Biblische Zeitschrift, 31. Jahrgang, Heft 2, 1987, S. 165-175, 172-175; Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238).


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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