Haben Sie schon einmal gemeinsam mit Juden in Ihrer eigenen Wohnung Schabbat gefeiert? Susanne Witte (1905-2005) begeht zusammen mit Regina Kirschbaum von 1942 bis 1945 jüdische Feiertage. Sie teilt ihre Berliner Wohnung mit ihr, nachdem deren Tochter – Wittes Freundin Ruth Casper – in ein Vernichtungslager deportiert wurde. Sie führen religiöse Gespräche, die die Christin beeindrucken. „Diese Jüdin hatte einen Glauben; die hat mich beschämt mir ihrem großen festen Gottesglauben“ – berichtet Witte.
Die gebürtige Berlinerin verbringt ihre Kindheit und Jugend in der von Dominikanern geleiteten Pfarrei St. Paulus. Als junge Frau engagiert sie sich in der Jugendarbeit und entscheidet sich für den Beruf der Fürsorgerin, was seinerzeit ein neues Berufsbild für selbständige Frauen war. Als Seelsorgehelferin wirkt sie in der kirchlichen Jugendarbeit in einer der ärmsten Seelsorgsbezirke der Stadt. Nach dem Verbot katholischer Jugendsozialarbeit 1937 wird sie entlassen. Sie findet eine Anstellung im kommunalen Gesundheitswesen. Dort kümmert sie sich bis zu ihrer Pensionierung vor allem um junge Mütter und alleinstehende, berufstätige Frauen. Ehrenamtlich arbeitet sie in ihrer Kirchengemeinde weiter und tritt dem Predigerorden als Laie bei. Nach ihrer Berufstätigkeit leitet sie ehrenamtlich ein Müttergenesungsheim und ist karitativ tätig. Sie gründet eine Altentagesstätte. St. Paulus ist weiter ihr eigener geistlicher Mittelpunkt und Wirkungsort.
Ihren Einsatz für Regina Kirschbaum bezeichnet Witte als „selbstverständlich“; ihren Freundinnen, die sie warnen, entgegnet sie: „Ja würdet ihr denn die Mutter eines lieben Menschen jetzt auf die Straße lassen und die dem sicheren Tod aussetzen? Würdet ihr?“ Die israelische Gedenkstätte Yad Vaschem ehrt sie als „Gerechte der Nationen“.
Hr. Norbert Habakuk Schmeiser
erschienen in: Konradsblatt 4/2021, S. 13