Leiblichkeit im Gebet – Was uns die Gebetsweisen des Heiligen Dominiks lehren können

Joachim Schäfer – Ökumenisches Heiligenlexikon

„Theologie zwischen Leibfeindlichkeit und Körperboom“[1], so lautet der Titel eines Aufsatzes und trifft damit die Dynamik und Entwicklung, der das Thema der Leiblichkeit innerhalb der Kirche ausgesetzt war und ist. Dass der Kern des Christentums der Glaube an einen Gott ist, der in Jesus Christus die konkrete Gestalt eines leibhaftigen Menschen annahm mit allen Grenzen und Bedürfnissen eines menschlichen Lebens und Leibes, erhebt die Leiblichkeit des Menschen endgültig auf eine Stufe, in der Körperverachtung und -misshandlung im Allgemeinen als auch in einem Streben nach einer körperlosen, rein vergeistigten Gebetserfahrung keinen Platz mehr haben. Dem Leib kommt eine eigene, besondere Würde zu. Mensch zu sein heißt nach Romano Guardini „verkörperter Geist“ und „durchseelter Leib“ zu sein.[2]In diesem Sinne trägt der ganze Mensch die christliche Frömmigkeit. „Nicht nur die Seele, sondern der ganze Mensch soll beten.“[3]Schließlich ist alles was der Mensch tut, auch das Beten, schon immer leiblich, weil der Mensch selbst Leib und nicht von ihm zu trennen ist. Daher spielt die leibliche Dimension eine wichtige Rolle im christlichen Gebet.Die Liturgie, aber vor allem die sakramentalen Handlungen, binden den menschlichen Körper als Bezugs- und Ausgangspunkt sowie als Medium der Gottesbegegnung bewusst ein.

Im heiligen Dominikus ist uns in der Bilderhandschrift „Modi Orandi Sancti Dominici“ („Die Gebetsweisen des heiligen Dominikus“) des Dominikaners Aldobrandinus von Tuscanella, der sie im 13. Jhd. in Bologna verfasst hat in dieser Ausführlichkeit ein seltenes Beispiel leiblichen Betens überliefert. Was Romano Guardini viele Jahrhunderte später ausdrückt, hatte Dominikus stark verinnerlicht, dass nämlich jede körperliche Stellung auf die Seele einwirke.[4]Weil Haltungen und Gebärden ausdrücken, was im Inneren lebt, ist es nicht gleichgültig, in welcher Stellung man betet.[5]Die Gebetsgebärde, so zeigt das Beispiel des Dominikus, ist die „Verleiblichung von dem, was in der Seele des Menschen geistig geschieht“[6]. Alles, was in der Seele passiert, greift auf den Körper über. Besonders in der Mystik tritt daher das Innere in Gebärden aus, wenn die Worte zum Ausdruck des Inneren nicht mehr genügen.[7]Bei Dominikus – so Peter Dyckhoff – „geschah nichts ausschließlich im seelisch-geistigen Bereich, sein Körper war immer beteiligt. Und nichts geschah rein körperlich, ohne dass Geist und Seele mitschwangen.“[8]

Die Person des Dominikus personifiziert in ihrem Verhalten das Wechselverhältnis von Liturgie und Spiritualität, von gefeiertem und gelebtem Glauben. Denn zunächst muss festgestellt werden, dass Dominikus die verschiedenen Gebetsformen im privaten Rahmen pflegte. So heißt es explizit zu Beginn: „Neben den allgemein üblichen und demutsvollen Formen des Betens bei der Feier der Heiligen Messe und beim Psalmengebet pflegte Dominikus die folgenden Gebetsweisen.“[9]Viele der dargestellten Gebetsformen werden heute überwiegend im liturgischen Rahmen vollzogen (z.B. Orantenhaltung, Prostratio, Knien oder Verneigung), doch Dominikus scheint diese in sein persönliches Gebet zu integrieren. So wie etwa in der achten Gebetsweise beschrieben wird, dass er dem Buch seine Verehrung erwies, „indem er es küsste – besonders, wenn es ein Evangelienbuch war […]“[10]oder in der fünften Gebetsweise, wenn er seine Hände in Schulterhöhe hielt „wie es der Priester bei der Feier der Messe zu tun pflegt.“[11]Damit lebte Dominikus das Wechselverhältnis von Liturgie und persönlicher Spiritualität aus. Es ist somit auch nicht weiter verwunderlich, dass er – bis auf das neunte Bild – immer alleine dargestellt wird. In diesem Sinne kann er ein Beispiel sein, solche Formen auch im privaten Gebet und ohne (Gottesdienst-)Gemeinschaft zu vollziehen.

Von den „modi orandi“ lässt sich durchaus auf das „lex credendi“ schließen, denn die Gebetshaltungen drücken immer auch eine tiefere theologische Wahrheit aus. So sind Gebetsgebärden immer auch Verkündigung der Glaubensbotschaft in der Sprache des Leibes.  

Dominikus – eine Ermutigung Gott so zu begegnen wie er uns begegnet – als Mensch mit Leib und Seele. 

Frau Clara Born OP


[1]Elisabeth Naurath, Theologie zwischen Leibfeindlichkeit und Körperboom. Aspekte christlicher Anthropologie, in: Hildegard Macha/Claudia Fahrenwald (Hg.), Körperbilder zwischen Natur und Kultur. Interdisziplinäre Beiträge zur Genderforschung, Opladen 2003, 69-82.

[2]Vgl. Guardini, Liturgie und liturgische Bildung, Passau 1966, 35.

[3]Romano Guardini, Vorschule des Betens, Ostfildern/Paderborn62014, 39.

[4]Vgl. Guardini, Briefe über Selbstbildung, bearb. Von Ingeborg Klimmer, Mainz 141986, 80.

[5]Vgl. ders., Vorschule des Betens, Ostfildern/Paderborn 62014, 39.

[6]Ohm, Gebetsgebärden, 9.

[7]Vgl. Ohm, Die Gebetsgebärden der Völker und das Christentum, Leiden 1948, 87.

[8]Peter Dyckhoff, Mit Leib und Seele beten. Die neun Gebetsweisen des hl. Dominikus, Freiburg 2003, 16.

[9]Dyckhoff, Mit Leib und Seele, 23.

[10]Ebd., 104.

[11]Ebd.

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