„Das fließende Licht der Gottheit“ – Inspiration für die dominikanische Familie

„Das fließende Licht der Gottheit“ ist eine Schrift Mechthilds von Magdeburg. Sie wirkte im 13. Jahrhundert als Laie ohne lateinisch-theologische Bildung in Gebet und Dienst am Nächsten und trat erst im hohen Alter in ein Kloster ein. Ihr Werk spiegelt ihre Verehrung für Dominikus und seine Brüder wieder. Nach ihrem Tod wurde es von Dominikanern ins Lateinische übersetzt, in deren Bibliotheken aufbewahrt und verbreitet. Welchen Impuls kann eine dem Predigerorden nahe stehende Frau der dominikanischen Familie geben, die vor 750 Jahren ihre geistlichen Erfahrungen niederschrieb? Es ist ihre Art, sich aufgrund ihrer Erfahrungen als Frau in der Kirche zu Wort zu melden.

„Ein schnödes Weib“

Zunächst bezeichnet sie sich selbst – entsprechend der damaligen gesellschaftichen Stellung und kirchlichen Lehre der Frau – als „schnödes Weib“ mit einem „ungelehrten Mund“. Sie berichtet von schmerzvollen geistlichen Erfahungen wie der Entfremdung von Gott und deutet sie als Weg in die Nachfolge des leidenden Jesus. Auf dem Hintergrund dieses spirituellen Leidens sieht sie in dieser unfreiwilligen, untergeordneten Rolle eine Parallele zum Abstieg Gottes zur Menschheit aus dessen freien Stücken: Wenn sie Erniedrigung in eigenen Leben erfahre, vollziehe sie die heilsame Zuwendung Gottes zum Menschen nach. Diese erlebte Demut ermögliche ihr nicht nur in besonderer Weise, Gottes Wort für ihre Zeit zu empfangen, sondern rechtfertige, diese weiterzugeben. So schreibt sie im „Fließenden Licht“: Es ist mir vor manchem „weisen Meister der Schrift … eine große Ehr‘ und stärkt die heilige Christenheit gar sehr, dass der ungelehrte Mund die gelehrte Zunge aus meinem Heiligen Geist belehrt“. Es sei ihre geistliche Niedrigkeit – nicht ihre gesellschaftliche und kirchliche Randexistenz -, die sie qualifiziere, den Geistlichen und Gelehrten zu verkündigen, um die Kirche aufzubauen.

Mechthild von Magdeburg weiß um den verkommenen Lebenswandel und Machtmissbrauch des eigenen Domkapitels unter anderem von einem Domdekan, der sein Amt kürzlich angenommen hat und von den Missständen angewidert ist. Ratsuchend, ob er sein Amt nieder legen soll, wendet er sich beachtenswerter Weise an Mechthild. Diese benennt das Problem im Bild der mit dem Gestank der Unkeuschheit behafteten Domherren, die sie als „Böcke“ tituliert und deren Haut, d.h. ihr Besitz und ihre Macht, mit dem Tod verfalle. Sie enthielten durch ihren Amtsmissbrauch der Herde die göttliche Liebe und die christliche Lehre in verantwortungsloser Weise vor. Aus ihrem Gebet heraus empfiehlt sie dem Domdekan, im Amt zu bleiben, damit er durch ein demütiges und frommes Leben ein geistliches Vorbild sei. Der persönliche Lebenswandel sei Grundlage geistlicher Macht, die sie grundsätzlich befürwortet. So bittet sie ihre Beichtväter um eine kritische Beurteilung ihrer außergewöhnlichen Erfahrungen.

Vorbild Dominikus

In dieser Hinsicht sei der heilige Dominikus als Ordensoberer vorbildlich, der in den eigenen Bedürfnissen Maß gehalten habe, ohne gleichzeitig von seinen Brüdern zu fordern, was er sich selbst abverlangt. Darin zeige sich seine Liebe zu Gott, die seinen Egoismus überwinde. Diese uneigennützige Liebe sei Maßstab für die Amtsausübung eines Priors. Konsequent werden Obere aufgefordert, den Versuchungen zu widerstehen, die mit den Führungsaufgaben einhergehen können, vor allem das Streben nach Ehre und Macht. Als Korrektiv werden die Oberen ermahnt, auf die Brüder und Schwestern sowie auf den geistlichen Rat des Seelenführers zu hören. Sie warnt ausdrücklich davor, unter Berufung auf die eigene Autorität ohne Beratung willkürliche Entscheidungen zu treffen.

Sie bezieht ihre Mahnung nicht nur auf die persönliche Anfechtung, sondern auch auf strukturelle Defizite in der Kirche: so seien auch Fehlentwicklungen in Konventen entgegenzuwirken. Zudem setzt sie kritikwürdigen Tendenzen einen Endzeitorden als Gegenentwurf zu den kirchlichen Verhältnissen entgegen. Wenn dessen Brüder ungehindert predigen, lehren und Sakramente spenden dürfen, entspricht dies dem Wunsch ihrer zeitgenössischen Dominikaner.

Eine kritische Stimme in der Kirche

Mechthild deutet ihre eigenen leidvollen Erfahrungen im geistlichen Leben wie in der gesellschaftlich-kirchlich bestimmten Öffentlichkeit als Befugnis, in Rücksprache mit ihren spirituellen Begleitern Fehlentwickungen in der Kirche zu benennen, zu kritisieren und selbst geistliche Weisungen zu erteilen. So kann sie uns ein Vorbild sein, mit negativen bis hin zu erniedrigenden Erlebnissen auch in der Kirche umgehen zu lernen: die eigene Demütigung kann – ohne sie zu rechtfertigen oder geistlich zu überhöhen – befähigen, das Leid anderer wahrzunehmen und darin ein „Zeichen der Zeit“ zu sehen. Dazu bedarf es der Gabe, im Glauben an die Führung durch den Heiligen Geist „in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen … zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder Absicht Gottes sind“ (Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums „Kirche und Welt“, Artikel 11). Dies ermöglicht es, selbst die Perspektive der zeitweise oder dauerhaft Unterdrückten und Ausgegrenzten einzunehmen. Parteiisch für sie gilt es, reflektiert Handlungsmöglichkeiten auszuloten und sie im Sinne des Apostolates der Tat umzusetzen.

von Norbert Schmeiser (DLG Freiburg)

Aus: kontakt. Freundesgabe der Dominikaner in Deutschland und Österrreich Nr. 45 (2017) 66-67

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